Morland 02 - Die Blume des Bösen
flüsterte Mersbeck, als der Kellner gegangen war. »Wir haben nur einen roten und einen weißen.«
»Er könnte korken«, gab Haxby zu bedenken.
»Ich denke, wir versuchen durch diese kindischen Rituale hier am Ende der Welt den Anschein von Kultur zu wahren. Zum Wohl«, sagte Mersbeck und sie stießen an. Dann fuhr er fort. »Wir sind weitestgehend Selbstversorger. Fast alle Nahrungsmittel produzieren wir selbst. Etwas weiter außerhalb, aber noch innerhalb der Umzäunung stehen Treibhäuser,die wie die Viehställe mit der Abwärme des Kraftwerkes beheizt werden. Wild bereichert ebenfalls die Speisekarte.«
»Und woher bekommen Sie die anderen Güter?«, fragte Haxby und ließ den Wein im Mund hin- und herrollen.
»Es führt keine Straße und keine Eisenbahnlinie hier herauf. Im Winter könnten uns Hundeschlitten erreichen, aber wir ziehen den Luftweg vor. Die Station 11 hat eine Flotte von fünf Luftschiffen.«
»Zu denen auch die Unverwundbar gehört?«
»Nein, die Unverwundbar ist mein persönliches Fortbewegungsmittel.«
»Warum hat die Station 9 ein eigenes Luftschiff und ich nicht?«, fragte Haxby und klang fast ein wenig beleidigt.
Weil ich dem Kollektiv angehöre und du nicht, dachte Mersbeck, sprach es aber natürlich nicht aus. »Beantragen Sie eins bei der nächsten Direktoriumssitzung«, schlug er stattdessen vor. »Wenn jemand so ein Vehikel dringend braucht, dann Sie. Immerhin sind Sie Geologe. Reisen gehört sozusagen zu Ihrem Berufsbild. Ich würde Sie in Ihrem Antrag unterstützen.«
»Dürfte ich die Ausgrabungsstätte einmal sehen?«
»Natürlich. Sie haben den dafür vorgeschriebenen Sicherheitsstatus. Erzählen Sie mir aber vorher noch etwas über Ihr neues seismisches Verfahren«, sagte Mersbeck.
»Wir arbeiten mit Sprengladungen und einem Seismografen. Das ist ein Gerät, das im Prinzip aus zwei Teilen besteht: einer Federkonstruktion und einer eingehängten Masse wie zum Beispiel einem Bleikörper. Kommt es zu Bodenschwingungen, so bewegt sich auch das Gehäuse, während dieMasse aufgrund ihrer Trägheit in einem relativen Ruhezustand bleibt. Die Bewegungsdifferenz zwischen Gehäuse und Bleikörper messen wir dann.«
Mersbeck dachte nach. »Das heißt, je schwerer der Bleikörper, desto genauer die Messung.«
»Richtig. Deswegen sind der Genauigkeit Grenzen gesetzt«, sagte Haxby.
Die Kellnerin erschien und servierte den ersten Gang, eine klare Gemüsesuppe.
»Erinnern Sie sich noch an den Fernsprecher?«, fragte Mersbeck, während er etwas Brot in kleine Stücke brach und in seinen Teller krümelte.
»Natürlich, seine Funktionsweise war sehr beeindruckend«, sagte Haxby.
»Ich habe mir überlegt, dass die Mikrofontechnik des Fernsprechers auch in einem Seismografen funktionieren könnte.«
»Dann klären Sie mich einmal auf.«
»Ganz einfach. Auch hier hätten wir zwei Teile: eine Spule und einen Permanentmagneten, die beide durch eine Feder miteinander verbunden sind. Auch hier würde eine Erschütterung zu einer relativen Bewegung zwischen Spule und Magnet führen, die in der Spule eine gewisse Spannung induziert. Diese Spannung müsste ...«, Mersbeck dachte nach, »... müsste proportional zur Geschwindigkeit der Relativbewegung sein.«
Haxby hatte den Löffel zum Mund geführt, hielt jetzt aber in der Bewegung inne. Einen langen Augenblick schaute er ihn mit großen Augen an, dann ließ er die Hand sinken.
Mersbeck war kein eitler Mensch. Er war nicht besonders stolz auf seine ins übermenschliche gesteigerte Intelligenz, die sich seit der Infektion mit der Blume ständig erhöhte. Meist setzte er die Gabe nur ein, wenn er alleine war. Ganz selten ließ er sie vor normalen Menschen aufblitzen, und dann freute er sich wie ein Kind über die meist sehr überraschten Reaktionen.
»Das könnte in der Tat funktionieren«, sagte Haxby mit der gebührenden Verblüffung.
»Natürlich wird es das. Und es würde Ihr Masseproblem lösen. Verstehen Sie jetzt, was ich vorhin meinte? Wir benötigen die Delatour-Kraft in Mengen, wie wir sie heute noch nicht produzieren können, um unsere Effizienz zu steigern«, sagte Mersbeck und aß genüsslich seine Suppe.
Haxby war plötzlich ganz aufgeregt. »Ich nehme an, Sie arbeiten schon seit geraumer Zeit daran.«
»Seit ich ...«, dem Kollektiv beigetreten bin, wollte Mersbeck schon sagen, korrigierte sich dann aber. »Seit mich das Wissenschaftsministerium angeworben hat.«
»Wann darf ich die Laboratorien sehen?«, fragte Haxby
Weitere Kostenlose Bücher