Morland 02 - Die Blume des Bösen
Angenehmste angesprochen, als ob sich jemand die allergrößte Mühe gemacht hätte, den Aufenthalt der Gäste so schön wie möglich zu gestalten.
»Wie heißen Sie eigentlich?«, fragte Tess.
Der Mann blieb stehen und drehte sich zu ihr um. »Oh, bitte entschuldigen Sie vielmals. Ich hätte mich natürlich schon längst vorstellen müssen. Mein Name ist Armand.«
»Sind Sie auch ... na, Sie wissen schon.«
»Ein Gist? Natürlich. Jeder, den Sie hier sehen, gehört zu uns. In unseren Träumen finden wir an diesem Ort zusammen.«
»Und Sie heißen auch Armand, wenn Sie wach sind?«
»Nein, natürlich nicht. Wir pflegen hier ein wenig das Spiel der Illusion. Jeder gibt sich so, wie er gerne gesehen werden möchte. Wollen Sie Ihren Namen beibehalten?«
»Tess? Ja. Ich habe mich an ihn gewöhnt und finde ihn ganz nett. Eigentlich könnte ich mir keinen anderen Namen für mich vorstellen.«
»Und er passt zu Ihnen, in der Tat.« Armand öffnete eine kleine Tür an der Rezeption und holte ein in blaues Leder geschlagenes Buch mit Goldschnitt hervor und schlug es in der Mitte auf. Er drehte es so, dass Tess es lesen konnte, und hielt ihr einen schwarz lackierten Füllfederhalter entgegen. »Wenn Sie sich hier bitte eintragen würden?«
»Dieses Buch ist alt, nicht wahr?«, sagte Tess, als sie ihren Namen hineinschrieb.
Armand schaute auf. »Sehr alt. Fast sechstausend Jahre.«
Tess dachte fieberhaft nach. Sechstausend Jahre! Dann existierte dieser Ort seit dem Ende des großen Krieges der Menschen gegen die Eskatay. »Darf ich einmal die erste Seite aufschlagen?«, fragte sie vorsichtig und streckte die Hand aus, aber Armand kam ihr zuvor.
»Tut mir leid«, sagte er bedauernd. »Wissen Sie, im Wortschatz eines Empfangschefs existiert das Wort ›Nein‹ eigentlich nicht. Aber Informationen über unsere Gäste geben wir in der Regel nicht weiter. Das müssen Sie verstehen. Umgekehrt wird über Sie nur dann jemand etwas erfahren, wenn Sie ihm selbst diese Informationen geben wollen. Es ist eine Vorsichtsmaßnahme, die unserem Schutz dient. Später werden Sie verstehen, warum wir das so handhaben.« Armandsetzte wieder sein gewinnendes Lächeln auf. »So, dann werde ich Ihnen Ihr Zimmer zeigen.« Er nahm den Schlüssel mit der Nummer 313 vom Haken und ging vor zu den Fahrstühlen, wo bereits ein Liftboy darauf wartete, die Gittertür zu öffnen.
»Dritter Stock bitte«, sagte Armand und der Junge in der roten Uniform eines Hotelpagen tippte sich zur Antwort an sein Hütchen. Er zog das Gitter zu und legte vorsichtig den Hebel um. Tess beugte sich vor, um den Jungen genauer zu betrachten.
»Er ist natürlich auch einer von uns«, raunte ihr Armand zu, der, ganz den Stil wahrend, noch immer geradeaus schaute. »Morgen wird er vielleicht in der Küche arbeiten oder der Geschäftsführung zur Seite stehen.«
Jetzt beugte sich der Page vor. »Vielleicht bin ich aber auch einfach nur ein Gast und lade Sie auf ein Stück Kuchen ein«, sagte er. »Hier macht jeder alles.«
Tess nickte bedeutsam, als hätte sie verstanden, was aber nicht stimmte. Dies war mit Abstand der seltsamste Ort, den sie jemals besucht hatte.
Der Liftboy zog den Hebel zurück und der Aufzug bremste sanft ab. Mit einer Bewegung, die wie einstudiert wirkte, öffnete er die Tür und trat beiseite.
Tess betrat einen Korridor, der in das warme Licht mehrerer Gaslampen getaucht war, die in Lüstern von der Decke hingen. Der Boden war mit einem schweren weinrot-blauen Teppich bedeckt, dessen Flor so tief war, dass sie das Gefühl hatte, bis zu den Knöcheln darin zu versinken. Armand öffnete die Tür zu Zimmer 313.
»Bitte sehr, junge Dame.«
Tess verschlug es den Atem, als sie den Raum betrat. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so etwas Luxuriöses gesehen. Die Tapeten waren aus mintgrüner Seide und zeigten je nach Lichteinfall ein changierendes Muster. Die schweren Brokatvorhänge passten farblich exakt zur gesamten Farbgebung des Zimmers. Auf einem Tisch stand eine Schale mit Obst, vornehmlich Limetten, grüne Äpfeln und weiße Birnen. Im Bad setzten sich die Farben fort, wurden allerdings durch die weiß-goldenen Armaturen variiert. Weiße Frottiertücher, die so weich waren, dass sich Tess am liebsten sofort in sie eingewickelt hätte, hingen fein säuberlich zusammengelegt über einer Stange.
»Ich hoffe, die Farbwahl trifft Ihren Geschmack«, sagte Armand. »Ansonsten können Sie sie natürlich jederzeit ändern.«
»Und wie ?«
»Dies
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