Morland 02 - Die Blume des Bösen
wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Sie hielt in der Bewegung inne und musterte Diffring genauer. »Moment! Denken Sie das, von dem ich vermute, dass Sie es denken? Dass die Gist auf der Seite der Menschen gegen die Eskatay in den Krieg ziehen?«
»Nun ... ja!«, sagte Diffring ein wenig hilflos.
»Warum sollten sie das tun?«
»Vielleicht weil wir die Guten sind?«, schlug Edith vor. »Ich glaube, wir dürfen nicht in diesen Kategorien denken«,fiel ihr Diffring ins Wort. »Es geht hier um etwas viel Fundamentaleres. Wenn die Gist und die Eskatay einander an die Gurgel gehen, kann es nur einen Verlierer geben: die Menschen. Niemand braucht uns. Wir sind ein Mühlstein um den Hals dieser Welt. Ich glaube, wenn wir die Gist um Hilfe bitten, lassen wir einen Geist aus der Flasche, den wir nie wieder dahin zurückbekommen.«
»Gibt es denn überhaupt eine Möglichkeit, wie wir mit ihnen in Kontakt treten können?«
»Bitte, Edith!«, sagte Diffring.
Sie hob abwehrend die Hand. »Nein, im Ernst! Ich finde, wir sollten es versuchen. Wenn die Eskatay gewinnen, ist unser Leben ohnehin nichts mehr wert.« Sie ergriff Tess’ Hand. »Kannst du mit ihnen in Kontakt treten oder nicht?«
Tess schwieg nachdenklich. Natürlich hatte Diffring Recht. Wer garantierte ihnen, dass die Gist nicht alles schlimmer machten? Vermutlich waren die Eskatay im Vergleich zu ihnen auch das geringere Übel, denn die konnten sich wenigstens nicht fortpflanzen und waren auch sonst auf normale Menschen angewiesen. Immerhin brauchten sie ein sich ständig erneuerndes Reservoir an potenziellen Eskatay, auch wenn die Hälfte den Aufstieg ins Kollektiv nicht überlebte. Doch Tess machte sich nichts vor. Die Eskatay arbeiteten bestimmt mit Hochdruck an einer Lösung dieser Probleme.
»Es ist eine Angelegenheit der Menschen«, sagte Diffring beschwörend. »Wenn sie wüssten, was auf dem Spiel steht, würden sie von sich aus den Widerstand organisieren.«
»Aber vielleicht täuschen wir uns ja auch alle«, sagte Morna. »Vielleicht wollen die meisten Menschen ja dasLeben eines Eskatay führen, auch wenn es bedeutet, dafür unter Umständen sein Leben zu verlieren. Wenn es den Eskatay irgendwann gelingt, die Nebenwirkungen zu beseitigen, glaube ich auch, was Anton sagt.« Morna stand auf und begann, die Teller abzuräumen. »Dann wird die Menschheit untergehen.«
Vier große Gläser Wasser hatte sie schon getrunken. Ihr Magen war so prall gefüllt, dass er bei der leichtesten Bewegung gluckerte wie eine Wärmflasche, und dennoch zwang sich Tess, ein fünftes zu trinken.
»Puh«, sagte sie und stieß geräuschvoll auf, als sie das leere Glas Nora in die Hand drückte. »Eigentlich bin ich Bauchschläferin.«
Nora lächelte und deckte Tess liebevoll zu. »Du musst dich einfach entspannen. Wahrscheinlich werden dir die ersten Träume diese Nacht verschlossen bleiben.«
»Ich habe das Gefühl, sie bleiben mir alle verschlossen«, brummte Tess. »Außerdem bin ich noch gar nicht müde.«
»Es ist elf Uhr in der Nacht. Du solltest müde sein.«
»Vielleicht liegt es ja auch an dem enttäuschenden Tag«, sagte Tess. »Ich hatte mir so viel mehr von diesem Treffen erhofft.«
»Begarell hat es geschickt angestellt«, sagte Nora. »Er hat erfolgreich einen Keil zwischen die Menschen getrieben. Die einen haben Angst, bei seiner Abwahl alles zu verlieren, auch wenn es nicht viel ist. Aber das macht es noch viel schmerzhafter. Die anderen, die Wohlhabenden, packt die Angst, dass sie am Ende des Tages genauso arm sind wie die, auf diesie hinabschauen. So gesehen ist es ihm leichtgefallen, die Armee der Morgenröte zu zerschlagen. Sie hatte nur bei den Schwachen Rückhalt gehabt. Außerdem war sie ziemlich schlecht organisiert.«
»Aber sie war unsere einzige Hoffnung.«
»Ich hatte mir auch mehr von ihr versprochen, das muss ich zugeben. Aber ich glaube, Anton Diffring hat Recht: Die Menschen werden diesen nun heraufziehenden Krieg nur als Opfer miterleben. Sie werden uns mehr denn je dafür hassen.«
»Sie meinen die Eskatay«, sagte Tess.
»Nein, du hast schon richtig gehört, als ich uns sagte. Die Menschen werden keinen Unterschied zwischen Gist und Eskatay machen. Wir sind die Magischbegabten. Welcher Gruppe wir genau angehören, ist für sie zweitrangig. Wir sind anders. Wir sind eine Bedrohung, denn wir haben die Welt schon einmal an den Rand des Untergangs gebracht. Das hat man uns bis heute nicht verziehen.«
»Aber warum
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