Morland 03 - Das Vermächtnis der Magier
geschenkt oder ob sie sich von alleine entwickelt hatte, aber er war in der Lage, mit jedem Gist Kontakt aufzunehmen. Man konnte diese Fähigkeit zwar nicht mit Begarells Kollektiv oder gar Noras Grand Hotel vergleichen, aber zur simplen Übermittlung von Nachrichten reichte sie vollkommen aus. Er musste Prioritäten setzen und konnte nicht mit allen gleichzeitig kommunizieren. Manchmal würde er die Verbindung auch kappen müssen, weil er sich auf Wichtigeres zu konzentrieren hatte.
Es war anstrengend, den Kontakt zu den Gist aufrechtzuerhalten, die nach der Schließung des Grand Hotels langsam aus ihrem Dämmerzustand erwachten. Noch waren sie zu benommen von den Drogen, dem Alkohol und dem Leben zwischen zwei Welten. Hakon hoffte, dass sie sich bald davon erholten, denn die Zeit drängte. Das spürte er.
Die Kinder wurden zurück in die Waggons getrieben, die Türen zugeschoben und verriegelt. Der Eskatay, der vorhin schon mit dem Offizier diskutiert hatte, gab ihm jetzt neue Anweisungen. Hakon hatte Schwierigkeiten, sich das neue Kollektiv als hierarchisch aufgebaute Gruppe vorzustellen, aber vermutlich war das ja Begarells Idee, denn inzwischen befehligte der Präsident zwei Armeen: die Eskatay und die Streitkräfte Morlands. Es waren jedoch die magisch Begabten, die das Sagen hatten. Sie handelten nun nicht mehr im Verborgenen. Das bedeutete aber auch, dass die Waggons nicht nach Lorick zurückkehrten, sonst würde die Nachricht von der Machtübernahme der Eskatay schneller die Runde machen, als es Begarell lieb sein konnte.
Mit einem Mal kam Bewegung in die Menge, die sich vor dem Bahnhof versammelt hatte. Einzelne Eskatay erhoben sich in die Luft, einige recht geschickt, doch die meisten ruderten dabei wild mit den Armen, als zöge sie eine unsichtbare Kraft überraschend nach oben. Sie alle flogen, dem Sonnenstand nach zu urteilen, Richtung Süden. Die übrigen machten sich auf dem Weg zu einem Depot, in dem zwei weitere Lokomotiven standen. Vier der Eskatay trugen dabei eine große Holzkiste. Vermutlich hatten sie den Auftrag erhalten, alle auffindbaren Blumen nach Lorick zu bringen.
Dann geschah etwas, was Hakon nicht sofort einordnen konnte. Zwischen einigen Soldaten kam es zu einem heftigen Streit. Drei von ihnen gestikulierten wild, fuchtelten mit Pistolen und Bajonetten herum. Plötzlich fiel ein Schuss und ein Soldat sackte zusammen. Eine Blutlache breitete sich unter seinem Körper aus. Keiner rührte sich. Niemand half. Alle waren zu verstört von dem, was soeben geschehen war. Die Eskatay schien das alles nicht zu interessieren. Sie versuchten weiter, im Depot ihren eigenen Zug unter Dampf zu setzen.
Hakon konzentrierte sich, so gut er konnte, doch er war zu weit vom Geschehen entfernt, als dass er auch nur einen einzigen fremden Gedanken hätte auffangen können. Es war ohnehin offensichtlich, was nun mit den meuternden Soldaten geschah. Sie wurden mit vorgehaltener Waffe hinter einen Schuppen geführt. Kurze Zeit später waren Schüsse zu hören.
Hakon hatte genug gesehen. So leise wie möglich lief er die Treppe hinab und verließ sein Versteck durch eine der rückwärtigen Türen. Er trat hinaus in einen kleinen Hof und blickte hinauf zum Himmel, wo der Schwarm von Eskatay in Richtung Lorick davonflog. Er atmete tief durch und sandte Bilder des angreifenden Feindes an die anderen Gist und hoffte, dass sie angesichts dieser Bedrohung bald erwachen und handeln würden. Aber außer einem tiefen, unregelmäßigen Summen erhielt Hakon keine Antwort. Er fluchte.
Geduckt lief er zu einem Torbogen, der sich zur Straße öffnete, und spähte um die Ecke. Hakon befand sich jetzt gegenüber der Ostseite des Vorplatzes, wo sonst die Droschken hielten. Viel Zeit, um einen Plan zu schmieden, hatte er nicht. Der Zug mit den Kindern hatte Wasser und Kohle geladen, würde also bald seine Reise fortsetzen. Hakon musste seinem Instinkt vertrauen. Und seinen Fähigkeiten. Die Eskatay waren in diesem Moment beschäftigt und mit den Soldaten würde er fertig werden. Hakon gab sich einen Ruck und trat hinaus auf die Straße, als hätte er jedes Recht, sich hier aufzuhalten. Er musste nur darauf achten, dass die Eskatay seine Nähe nicht spürten. Wenn er ihnen in die Hände fiel, hätte Begarell eines seiner wichtigsten Ziele erreicht. Dann konnte er Hakon testen und würde im Nu herausfinden, was die Gist von den Eskatay unterschied, um so das Problem der Unfruchtbarkeit zu lösen. Zügig überquerte Hakon
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