Morland 03 - Das Vermächtnis der Magier
Waisenhaus abgeholt wurden. Dann sind Schüsse gefallen.«
»Sag jetzt nichts Falsches«, zischte ihn Aria leise an. »Sonst breche ich dir den Arm, ob Gist oder nicht.«
Hakon sah das Mädchen überrascht an. »Eurem Vater geht es gut. Und er setzt alles daran, euch zu retten«, sagte er an die Zwillinge gewandt.
Aria nickte zufrieden. »So, und nun legt euch wieder hin. Ihr habt die ganze Nacht nicht geschlafen.«
»Nur wenn Hakon bei uns bleibt!«, rief Maura.
»Ich komme zu euch, wenn ich mit Aria gesprochen habe, einverstanden?«
»Aber macht nicht zu lange!«
Aria holte tief Luft und schloss die Augen. Mit einem Mal sah sie älter, viel älter als dreizehn Jahre aus. »Es ist das erste Mal, dass ich die beiden so erleichtert sehe. Lebt ihr Vater wirklich noch?«
»Ich kann es nicht sagen. Seitdem er sich auf den Weg gemacht hat, um die beiden zu befreien, habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
»Bleib am besten bei der Geschichte, die du den Kindern erzählt hast«, sagte Aria. »Wir können hier jeden Funken Hoffnung gebrauchen.«
»Warum bringt man euch nach Horvik?«, fragte Hakon.
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Aria. »Die Armee hat die Kinder aus verschiedenen Waisenhäusern zusammengetrieben und schafft uns jetzt fort.«
»Gibt es keine Gerüchte?«
»Die Soldaten erzählen sich nur, dass Horvik ein Nest jenseits des Polarkreises sein soll«, sagte Aria. »Früher hat man dort Eisenerz abgebaut, aber das ist wohl lange her. Mehr habe ich nicht herausgefunden. Was werden wir jetzt tun?«
»Abwarten. Fliehen ist unmöglich. Der Zug wird zu gut bewacht«, sagte Hakon. »Aber es gibt etwas, was ich für die Zwillinge tun kann.«
»Na, da bin ich aber gespannt«, sagte Aria. »Hat das was mit deiner magischen Begabung zu tun?«
»Oh ja«, sagte Hakon. Vor wenigen Minuten hatte er die ersten Meldungen erhalten, dass die Gist endlich erwachten. Nun gab er die Order an sie aus, nach Hagen Lennart zu suchen und ihm mitzuteilen, dass seine Kinder lebten.
***
»Und seit diesem Abend waren Sie ein Paar?«, fragte Tess. Sie machten nach drei Stunden Feldarbeit unter einem Baum eine Pause und verzehrten ihr zweites Frühstück.
»Ja«, gab Andre zu. »Obwohl ich mich ziemlich dämlich anstellte. Aber Nora war sehr geduldig mit mir. Und sie hat mir nie das Herz gebrochen.«
»Sie lieben sie immer noch.«
»Jeden Tag mehr.« Er schenkte Tess etwas Eistee nach. Sie nahm einen Schluck.
»Wie war die Welt, in der Sie lebten?«, fragte Tess und stellte das Glas wieder ab.
»Gewalttätig«, sagte Andre. »Es verging kein Tag, an dem nicht irgendwo ein Krieg tobte. Menschen starben, die nicht hätten sterben müssen.«
»Das klingt, als hätten Sie die Welt gehasst«, sagte Tess.
»Nicht die Welt, aber die Menschen, die in ihr lebten. Lies das Tagebuch, dann wirst du es verstehen.«
Tess klappte das Buch, das auf ihrem Schoß lag, behutsam zu. »Ich weiß nicht, ob ich das noch will.«
»Warum?«
»Weil ich befürchte, dass es eine Geschichte ist, die mich verändern wird.«
Andre lehnte sich zurück. Sein Ausdruck wurde ernst. »Tess, was willst du?«
Tess seufzte. »Ich will, dass Nora lebt. Ich will meine Freunde wiedersehen. Und ich will in einer Welt leben, die nicht wie Morland ist.«
»Nun, der letzte Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Mit Morland hat diese Welt hier keine Ähnlichkeit.«
»Und wie steht es um die anderen beiden Wünsche?«
»Sie sind eng miteinander verbunden.« Er schwieg, blickte nachdenklich in den Himmel und schien in Gedanken irgendeine Gleichung durchzugehen, deren Ergebnis sich nicht mit Sicherheit bestimmen ließ. »Komm mit«, sagte er und stand auf. Tess leerte ihr Glas und folgte ihm.
Porter lag dösend in seiner Hundehütte und hob träge den Kopf, als Andre mit Tess zur Scheune trat. »Welche Begabungen hast du?«, fragte er.
»Ich bin stark«, antwortete sie.
»Stark. Soso. Sonst noch etwas?«
Tess dachte nach. »Einmal war es, als würden sich alle Menschen ganz langsam bewegen – die Zeit schien zu stocken.« Das war am Zentralbahnhof in Lorick gewesen, damals hatte sie York aus den Händen eines Eskatay befreit.
Andre hielt bei diesen Worten in der Bewegung inne und drehte sich abrupt zu ihr um. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. »Da hinten steht eine volle Regentonne. Heb sie hoch.«
Tess zuckte mit den Schultern, ging zu dem Fass und umklammerte es. Doch es wollte sich nicht von der Stelle bewegen lassen.
»Das verstehe ich nicht«, keuchte
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