Morland 03 - Das Vermächtnis der Magier
haben wir die Büchse der Pandora geöffnet. Du weißt, was in dieser Büchse war.«
»Das Unglück der Welt«, sagte ich bitter.
»Aber auch die Hoffnung!«, sagte sie.
Ich betrachtete Nora, wie sie da im Sonnenlicht neben mir saß. In diesem Moment war sie für mich das vollkommenste Geschöpf auf Erden. »Nora, sei mir nicht böse, aber ich bin mir nicht sicher, was von beidem wir sein werden.«
***
Hagen Lennart hatte an diesem Abend Elverum noch einen Besuch abgestattet. Der Arzt hatte dem Polizisten ein starkes Schmerzmittel gegeben, damit er die Wunden zunähen und die Nase richten konnte. Als Lennart am Bett seines Freundes stand, hatte er Tränen in den Augen.
»He«, flüsterte Elverum. »Jetzt reißen Sie sich doch mal zusammen.«
»Sie sollten sich mal sehen können, dann würden Sie auch heulen.«
Elverums Lachen ging in ein schmerzhaft klingendes Husten über. »Sie glauben gar nicht, was für einen Spaß es mir gemacht hat, diesem Schestakow die Scheiße aus dem Leib zu prügeln. Jahre habe ich damit verbracht, diesen Kerl festzunageln.«
»Heute ist es Ihnen gelungen«, sagte Lennart. »Er ist tot.«
»Hätte aber auch anders ausgehen können«, krächzte Elverum.
»Sie werden also nicht die Führung der Todskollen übernehmen?«
»Nicht, solange ich noch meine fünf Sinne beisammenhabe.«
»Wo haben Sie so gut boxen gelernt?«
»Ich wusste immer: Wenn du den Todskollen oder den Wargebrüdern so richtig in die Parade fahren willst, musst du sie mit ihren eigenen Mitteln schlagen. Es gibt Aussteiger, denen wir beim Untertauchen geholfen haben. Hauptsächlich Wargebrüder, wegen der Tätowierung. Die Todskollen fallen überall auf, wie bunte Hunde. Auch wenn sie sich die Haare wachsen lassen. Diese Aussteiger sind sehr dankbar. Einer von ihnen hat mich über sechs Jahre lang ausgebildet und mir einige Kniffe gezeigt. Die meisten davon konnte ich heute anwenden.«
Lennart hatte sich schon bei ihrer ersten Begegnung gewundert, dass Elverum so durchtrainiert war.
»Seien Sie mir nicht böse, mein lieber Lennart«, sagte dieser nun mit schwacher Stimme. »Aber ich glaube, meine Konzentration lässt ein wenig nach. Ich denke, ich werde ein weni g …«
» … schlafen«, vollendete Lennart den Satz.
Da waren Elverum auch schon die Augen zugefallen.
»Wach auf«, flüsterte eine Stimme.
»Nur noch zehn Minuten«, brummte York in sein Kissen, drehte sich auf die Seite und zog sich die Decke über den Kopf.
»Keine zehn Minuten«, sagte die Stimme drängend. »Wir müssen uns beeilen.«
»Warum? Ist Herr Diffring denn schon da?«, fragte York ärgerlich, der im Halbschlaf an seinen Hauslehrer denken musste.
»Ich weiß nicht, wer Herr Diffring ist. Aber die Ausweise sind fertig. Wir sollten gehen.«
Plötzlich war York hellwach. Er wusste wieder, wo er war: Nicht mehr im Haus seines Adoptivvaters, sondern auf Statio n 11. Mersbeck reichte York eine Papiertüte.
»Belegte Brote. Mehr habe ich in so kurzer Zeit nicht auftreiben können.«
Dankbar nahm York das späte Mahl entgegen. »Wie spät ist es?«, fragte er mit vollem Mund.
»Kurz nach Mitternacht. Du hast ganze drei Stunden geschlafen.«
»Wirklich? Ich habe das Gefühl, als wäre ich nur zwei Minuten weggedöst. Was haben Sie in der Zwischenzeit gemacht?«
»Ich habe Dr . Grosny in der Krankenstation besucht und meine Verbände wechseln lassen.« Mersbeck hielt einen Fuß in die Luft.
»Haben Sie sich auch wieder ein Schmerzmittel verabreicht?«, fragte York.
»Ja«, gab Mersbeck zu.
»Entschuldigung, es geht mich ja nichts an. Aber spritzen Sie sich nicht ein wenig viel von diesem Zeug?«
»Es geht dich in der Tat nichts an«, erwiderte Mersbeck ungehalten. Nach kurzem Zögern räumte er ein: »Ich werde tatsächlich langsam unvorsichtig. Ich benutze das Opiat zu oft in einer zu hohen Dosis. Mein Körper gewöhnt sich schon daran. Sogar meine Gaben werden inzwischen dadurch beeinträchtigt.«
»Können Sie nicht weniger nehmen?«, fragte York.
»Kannst du einen Rollstuhl schieben?«, fragte Mersbeck zurück. »Ohne das Schmerzmittel bin ich ans Bett gefesselt. Du solltest dich mit Dr . Grosny zusammentun. Ihr beide würdet euch blendend verstehen.«
York stopfte sich das letzte Stück Brot in den Mund und tappte ins Bad.
»Ich habe dir Sachen zum Wechseln hingelegt«, rief Mersbeck durch die geschlossene Tür. »Wahrscheinlich ist dir der Arbeitsanzug zu groß, aber du kannst dir ja die Ärmel umschlagen.«
York sah
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