Morland 03 - Das Vermächtnis der Magier
Nachdem er ihr Feuer gegeben hatte, blies sie mit zitterndem Atem den Rauch aus.
»Linda ist tot«, sagte er.
»Wie bitte?«, war die entgeisterte Antwort.
»Sie ist heute Morgen an der Hirnblutung gestorben.«
Die Frau setzte sich langsam auf eine Kiste. »Aber sie war doch ers t …«
»Zweiundvierzig«, sagte der Mann.
Die Frau ließ die Schultern hängen, schnippte gedankenverloren die Asche auf den Boden. »Heute sind schon wieder drei neue Versuchspersonen gekommen. Am liebsten würde ich sie zurückschicken.«
Der Mann zuckte mit den Schultern. »Dann tu es, Ludmilla.«
»Erst wenn sie etwas Anständiges zu Essen bekommen haben.« Sie nahm einen weiteren Zug. »Oleg, ich ertrage das nicht mehr! Diese ganzen Experimente sind vollkommen sinnlos. Sinnlos und unmoralisch!«
»Wir wussten doch von vorneherein, worauf wir uns einlassen.«
»Dann erzähl das mal den Frauen auf dem Friedhof«, sagte sie. »Oleg, wir haben unsere Seele an einen Mann verkauft, der um jeden Preis künstliches Leben erschaffen will und dabei über Leichen geht!« Ludmilla warf den Zigarillo auf den Boden und trat ihn aus. »Oh ja, du kannst sagen: Wir haben viel gelernt. Doch woher kommt dieses Wissen? Noch vor zehn Jahren hatten wir keine Ahnung, wie sich der Mensch fortpflanzt. Wir wussten nichts von Zellen und wie sie sich teilen. Die DNA, was war das? Und jetzt codieren wir das Erbmaterial des Menschen neu! Mit Geräten, deren Funktion ich noch nicht einmal ansatzweise verstehe! Wo hat Begarell dieses Wissen her? Und was ist sein Ziel?«
»Braucht die Wissenschaft ein Ziel?«, fragte Oleg. »Oder sollten wir uns nicht vielmehr über das freuen, was wir am Wegesrand finden?«
»Verdammt noch mal, wir pflücken keine Blumen!«, sagte Ludmilla wütend und stand auf. »Linda ist tot. Wir müssen die Arbeit neu organisieren. Und dann schicke ich diese armseligen Gestalten wieder zurück in ihr Lager.« Sie drehte sich zu Oleg um. »Das ist auch noch etwas, worüber wir reden müssen: dieses Lager. Wir sollten es auflösen!«
»Lass es gut sein, Ludmilla«, sagte Oleg. »Du willst zu viel auf einmal.«
Ludmilla schien mit dieser Bemerkung ganz und gar nicht einverstanden zu sein, doch Hakon verstand ihre Antwort nicht mehr, denn beide eilten schon wieder davon. Die Tür hingegen ließen sie offen stehen.
Begarell will um jeden Preis künstliches Leben erschaffen . Hakon ging dieser Satz nicht mehr aus dem Kopf. Auf einmal bekam alles einen Sinn. Darum all die verschiedenen Wissenschaftsstationen! Begarell hatte Zugang zu jahrtausendealtem Wissen, zu dem ihm jedoch der Schlüssel fehlte. Hakon nahm Kontakt mit den anderen Gist auf, um sie auf den neuesten Stand zu bringen. Dass er York noch immer nicht erreichte, erfüllte ihn mit Sorge, denn es war nur eine Frage von Stunden, bis die Eskatay Lorick erreichten und dort Kämpfe ausbrachen.
Hakon hatte zwei Möglichkeiten. Er konnte versuchen, auf eigene Faust Statio n 12 zu durchsuchen, um so einen Weg zu finden, Begarell zu stoppen. Doch wer sagte ihm, dass er alles Nötige hier unten finden würde? Wäre er allein gewesen, hätte er jetzt alles auf eine Karte gesetzt. Doch er trug Verantwortung für Menschen, die ihm viel bedeuteten. Und er hatte Hagen Lennart ein Versprechen gegeben, das er halten wollte: seine Töchter zu beschützen.
Es hatte keinen Zweck. Hakon musste ins Lager zurückkehren und den Widerstand von dort aus organisieren.
***
Den ganzen Tag hatten sowohl die Todskollen als auch die Wargebrüder damit verbracht, die östlichen Stadtteile Loricks zu sichern, indem sie an strategischen Punkten bewaffnete Posten errichteten, die sich auf den Hausdächern versteckten. Die Gist lieferten ihnen wertvolle Informationen, ohne dabei direkt in Erscheinung zu treten.
»Noch glaubt die Armee, dass ihr Auftrag in der Eindämmung eines Bürgerkriegs besteht«, sagte Elverum. »Das wird sich ändern, wenn die Eskatay in Lorick eintreffen. Dann werden die Streitkräfte vor einer Zerreißprobe stehen, denn Begarell wird seinen Soldaten kaum den Befehl erteilen, auf die eigenen magischen Truppen zu feuern.«
»Entschuldigung, Begarell wird die Armee in diesem Moment kaum noch interessieren«, sagte Helga Varnrode, die jetzt nicht mehr ihr schmutziges Nachthemd, sondern einen Herrenanzug trug. Ihr Gesicht war zwar noch immer verhärmt, aber nach einem ausgiebigen heißen Bad hatte ihre Haut eine etwas gesündere Farbe angenommen. »Ich glaube, Sie unterschätzen die
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