Morland 03 - Das Vermächtnis der Magier
verloren. Dann lachte sie so laut, dass ich sie verwirrt anblickte.
»Habe ich was Falsches gesagt?«, fragte ich.
»Andre, ich erlaube dir ja einiges. Aber in meinen Kopf lasse ich dich nicht.«
»Wir hatten eine Verbindung, schon vergessen?«, sagte ich. »Wir waren eins. Ich weiß, wie du denkst, und du weißt, was ich fühle.«
»Lass es mich so ausdrücken: Du durftest mein Buch lesen, aber nicht darin schreiben. Wenn ich schlafe, sehe ich viele andere Welten. Diese ist eine von ihnen. Sie ist klein und nur ich habe den Schlüssel zu ihr.«
»Also ist sie real?«
»Mit Einschränkungen«, sagte Nora. »Alles, was du hier zu dir nimmst, macht dich nicht satt. Dein Körper liegt noch im Bett deiner Unterkunft im Seuchenzentrum. Wenn dir dort etwas zustößt, stirbst du auch hier.«
»Und umgekehrt?«
»Niemand kann dir hier etwas antun. Du kannst dich nicht verletzen und keiner kann dich töten.«
Sie trat hinter der Rezeption hervor und ging zu einer imposant bestückten Bar. »Einen Mint Julep?«
»Du hast dem Zeug noch immer nicht abgeschworen«, stellte ich fest.
»Warum sollte ich? Ich finde, jeder sollte seinem bevorzugten Gift frönen dürfen.« Sie hielt mir ein volles Glas entgegen. »Cheers.«
»Cheers«, sagte ich und trank. Augenblicklich verzog ich das Gesicht. Es war zwar schon einige Zeit her, dass ich diesen Cocktail getrunken hatte, aber ich hatte ihn anders in Erinnerung.
»Er schmeckt ein wenig seifig, ich gebe es zu«, sagte Nora und kippte ihren Mint Julep in einen Blumenkübel. »Es ist sehr schwierig, an einem Ort wie diesem den richtigen Bourbon zu kreieren. Aber ich denke, wir haben genug Zeit zum Experimentieren.«
»Wieso wir?«, fragte ich.
»Wie ich bereits sagte, ist dies nicht exklusiv meine Welt. Jeder von der Blume Infizierte darf sich hier so einrichten, wie er es mag.«
»Wenn mir also diese Pflanze nicht gefällt«, ich zeigte auf den Drachenbaum, der neben der Drehtür stand, »dann kann ich sie verschwinden lassen?«
»Verschwinden lassen. Verändern. Was du willst.«
»Wie tue ich das?«
»Stell `s dir einfach vor und wünsch es dir«, sagte sie lächelnd und schaute mich dabei wie ein verliebter Teenager an. Auch sonst kam sie mir auf einmal erstaunlich jung vor.
»Muss ich dabei die Augen schließen?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf. Also streckte ich wie ein Magier die Hand aus und sagte mit tiefer Stimme: »Drachenbaum, verwandle dich in ein Rosenspalier!«
Ich muss ein ziemlich dämliches Gesicht gemacht haben, denn Nora lachte, als auf einmal wirklich rosa Rosen den Eingang umrankten. Ich schnupperte an einer der Blüten. »Sie riechen sogar!«, sagte ich ehrlich überrascht.
»Das will ich hoffen, mein lieber Andre.«
Ich nahm Nora in die Arme, zog sie an mich und küsste sie. »Du bist der erstaunlichste Mensch, den ich kenne.«
»Ich weiß. Und ich weiß auch, woran du gerade denkst. Aber daraus wird nichts, Schatz. Die Gäste kommen gleich.«
Und sie kamen tatsächlich. Die meisten waren so erstaunt wie ich, und ihr Staunen wuchs, als Nora ihnen eine kleine Einführung in die Regeln des Grand Hotels gab.
»Und wir können hier alles verändern?«, fragte Oksana.
»Alles.«
»Auch unser Aussehen?«
»Ihr könnt euch jünger machen, wenn ihr das wollt. Aber was hätte das für einen Sinn? Keiner von euch ist älter als einundzwanzig«, sagte Nora.
»Aber du hast ein wenig an der Uhr gedreht, nicht wahr?«, fragte ich.
»Vielleicht«, sagte Nora unter zartem Erröten.
»Ein schöner Ort«, sagte Wassili Aleximow, ein junger Bursche aus Omsk. »Doch was sollen wir hier?«
»Miteinander sprechen. Wir benötigen einen Platz, einen realen Ort, an dem wir uns treffen können, ohne dass Guselka oder wer auch immer Wind davon bekommt«, sagte Nora und nahm in einem Sessel Platz. »Denn es gibt einen weiteren Grund, weshalb wir uns hier eingefunden haben: Wir müssen untertauchen.«
Oksana schlug sich mit der Hand auf den Schenkel. »Verdammt, hab ich’s doch gewusst. Sie wollen uns aus dem Weg räumen, nicht wahr?«
»Die Gefahr besteht«, gab ich zu.
Ilja musterte mich und Nora misstrauisch. »Ihr beide habt schon einen Plan geschmiedet.«
»Was heißt hier ›einen Plan‹?«, entgegnete ich gereizt.
»Versucht ihr uns auszuschließen?«, fragte er kalt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich immer gedacht, ich könnte Woronesch nicht leiden. Aber das stimmte nicht. Ich verabscheute ihn. Er gehört zu denen, die wissen, dass sie
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