Morpheus #2
dem Bär und dem halben Revier, und grinste triumphierend mit grell angemalten Lippen. C. J. sah sich um, doch natürlich war Dominick nicht da. Er durfte auch gar nicht da sein in Anbetracht der Tatsache, wer der Angeklagte war.
Jetzt richteten sich alle Kameras auf einen sichtlich erschöpften und verdrossenen Richter Chaskel.
Vor dem Mittagessen hatte er angekündigt, dass er um 15.30 Uhr die Entscheidung treffen würde, und hatte es gerade noch rechtzeitig auf die Richterbank geschafft. Jetzt war es 15.31 Uhr, und obwohl der Gerichtssaal bis unter die Paneele besetzt war, hätte man eine Stecknadel fallen hören können.
C. J. versuchte wie alle anderen in Chaskels fal-tigem Gesicht zu lesen, in den gerunzelten Brauen und den nach unten gezogenen Mundwinkeln. Vielleicht könnte sie sich für ihre Flucht aus dem Saal einen Vorsprung sichern, falls Chaskel ihr mit finste-rem Blick eine Warnung zuwarf. Doch seine Miene war nicht zu deuten. Wie ein König saß er auf der Richterbank, ohne jemanden Bestimmtes anzusehen, keinen Menschen, keine Kamera. Dann ließ er den Blick auf die Verfügung sinken, die vor ihm lag.
C. J. hatte am Morgen ihr Bestes gegeben, hatte ihre Argumente klar und mit Bedacht gewählt.
Nachdem sie sich gesetzt hatte, war Rose aufge-standen und hatte das Gleiche noch einmal gesagt.
Neil Mann war ihnen nicht gewachsen gewesen und auch den schnellen, hypothetischen Fragen nicht, die Richter Chaskel ihm als Advocatus Diaboli vor die Füße warf. Manns Argumente überzeugten wenig, und seine Unterlippe zitterte so heftig, dass C.
J. fürchtete, er würde in Tränen ausbrechen.
Doch die Juristerei war eine seltsame Profession.
Häufig verloren die besten Argumente gegen emotionale Gründe. Richter in Strafprozessen sollten neutral sein, nur das Gesetz sehen, doch C. J.
wusste, das Chaskel eine Todesstrafe nicht einfach ignorieren konnte. Also kreuzte sie die Finger unter ihrer Akte und betete zum heiligen Christophorus, der Richter möge alldem endlich ein Ende bereiten.
«Der Angeklagte hat einen Berufungsantrag gestellt gemäß den Gesetzen 3.851 und 3.850 der Strafprozessordnung des Staates Florida», begann der Richter. Er sprach ruhig und sachlich, nicht für die Kameras, sondern für das Protokoll. «Er bringt zwei Gründe vor, auf die er seinen Antrag stützt.
Der erste ist mangelhafte Strafverteidigung. Der Angeklagte gibt an, seine Anwältin Lourdes Rubio sei ihrer Aufgabe nicht befriedigend nachgekom-men, es habe sich somit nicht um ein faires Verfahren gehandelt. Der zweite Grund für den Antrag ist eine neue Beweislage, die sich erst kürzlich ergeben hat und aufgrund deren eine Wiederaufnahme und Neuverhandlung des Verfahrens wahrscheinlich zu einem Freispruch führen werde. Um seine Behauptungen zu belegen, hat der Angeklagte seinem Antrag eine eidesstattliche Versicherung von Rechtsanwältin Lourdes Rubio beigefügt. In ihrer eidesstattlichen Versicherung gibt Rechtsanwältin Rubio zu, nach Bantlings Verhaftung und nachdem sie seine Verteidigung übernommen hatte, jedoch noch vor Prozessbeginn, in Besitz eines Beweisstücks gekommen zu sein, nämlich des Mitschnitts eines Anrufs bei der Polizei. Der Anruf sei am 19.
September 2000 beim Miami Beach Police Department eingegangen, in derselben Nacht, als Bantling verhaftet wurde, wenige Minuten bevor der Angeklagte von einem Officer der Polizei von Miami Beach namens Victor Chavez wegen eines Verkehrsdelikts angehalten worden war. Der Inhalt des Telefongesprächs sei folgender:
Zentrale: Neuneinseins. Um was für einen Notfall handelt es sich?
Nichtidentifizierter Anrufer: Da ist ein Wagen. Ein neuer schwarzer Jaguar XJ8. Erfährt auf der Washington Avenue in südlicher Richtung. Er hat zwei Kilo Kokain im Kofferraum und ist auf dem Weg zum Flughafen. Er nimmt den MacArthur Causeway, falls Sie ihn auf der Washington verpassen.
Zentrale: Wie heißen Sie, Sir? Von wo rufen Sie an?
Danach ist die Leitung tot. In der Zeugenaussage von Officer Chavez heißt es, dass Mr. Bantling in einem neuen Jaguar XJ8 unterwegs gewesen sei, als er ihm das erste Mal auf der Washington Avenue durch rücksichtslose Fahrweise auffiel, ungefähr um 20 Uhr 15. In ihrer Erklärung gibt Ms. Rubio an, dass in Wirklichkeit der anonyme Anruf der Grund für die illegale Fahrzeugkontrolle gewesen sei, und stützt sich dabei außerdem auf eine außergerichtliche Unterhaltung mit Officer Chavez, in welcher er ihr ebendies bestätigt habe. Sie erklärt,
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