Morphin
Parkett, zu den Kronleuchtern, Iga links, Salomé rechts in die Wolle meines Jacketts gekrallt, schweben wir zu der lauschigen, uns höflich zugewiesenen Loge, der amerikanische Dollar weist uns den Weg, in God we trust.
Wir setzen uns an einen Glastisch, es ist noch früh, noch leer, kein Orchester, Musik von Grammophonplatten, amerikanische Musik, Saxophon und Kontrabass strömen aus den Lautsprechern, wir bestellen Wodka und bekommen ihn gefrostet und bläulich, wir bestellen dazu Paprikafleisch, schärfer noch als der Wodka, und Salomé holt aus ihrer Handtasche das glücksspendende, regenbogenfarbene Fläschchen und die goldkörbige Spritze und die Nadel Nr. 19 , sei gelobt, Salomé, meine goldvöglige, gute und schöne Hure!
Und kommt es mir nur so vor, dass der Blutspiegel an den Wänden steigt? Blutig roter Paprika.
Alles kommt dir nur so vor, Kostek. Die wogende Linie des Blutes kommt dir so vor, das Adria kommt dir so vor, Iga kommt dir so vor, und Salomé und Warschau und dein ganzes Leben von Kattowitz bis Grudziądz und Trembowla und das Schokoladenhaus und Warschau und deine Mutter kommen dir so vor, mein Lieber, und dein Körper kommt dir so vor. Alles Einbildung, Kostek.
Du bist Einbildung, nur ich bin wirklich, also bist du vielleicht nur meine Einbildung? Vielleicht träume ich dich, mein Lieber, vielleicht bist du mein Albtraum, Traum eines Schattens, Traum jenes oder jener Dritten, die oder der hinter den zweien geht auf weißem Weg?
Und wer bin ich, Kostek, wer? Ein Schatten, wie alles bin ich, der Schatten eines Schattens in einer Schattenwelt. Kreise auf dem Wasser. Ein Hauch von Wind. Kälte.
Wir trinken Champagner, echten Champagner, zwischen Gold und Bläschen treiben winzige Fetzen von Bodensatz wie Plankton, und mit kokaingeschärftem Auge siehst du eins von ihnen, Kostek, wie es taumelnd und tanzend zur Oberfläche steigt, angetippt von den aufsteigenden kleinen Ballons, das Gold, der Champagner fließt in eure Kehlen und ja, ja, auch das weiße Pülverchen des Kokains, Iga sagt nicht nein, und die Augen glänzen ihnen, den Frauen, mit denen du gekommen bist, die Augen glänzen kokainerregt, und die Musik spielt, und andere Leute in Uniformen und Anzügen sind da, Deutsche strömen herbei und ihre polnischen und sonstigen Damen und Nutten, was die Warschauer Straße halt so hergibt, und das Orchester schwebt herab in weißen Smokings, als drehten sie sich im Schwindel und Champagner auf dem Balldeck eines karibischen Transatlantikdampfers und nicht im Warschauer Oktober, auch ihr wirbelt, Kostek, doch deine weiße Smokingjacke hängt im Schrank, du hättest sie anziehen können, denkst du, aber nein, keine weiße Jacke im Oktober, im Juli vielleicht, aber nicht im Oktober, im Oktober nur eine schwarze, Atlasrockaufschläge Atlastressen, das Parkett wirbelt, Adria, Adria nur für Deutsche, die blauen Wasser der Adria, Iga in deiner Umarmung, ihre Lippen geöffnet, ihr wirbelt im Einklang mit Flügel und Schlagzeug, Kostek.
Und du weißt schon, du weißt, dass das Fläschchen auf dich wartet, was ist der Kokainrausch, was der Champagner, die goldkörbige Spritze und die lauschige Loge, und als Salomé das flüssige Glück vorbereitet, drehst du den Kopf zu Iga:
«Ich habe die Fotos gesehen … Bei Salomé.»
Und Iga lächelt. Sie hat keine Scham. Keine Spur. Kommt das vom Champagner mit Kokain, dass sie keine Scham hat? Nur die Wangenröte der Erregung?
Sie hat keine Scham, weil sie sie abgelegt hat, Kostek, dazu ist sie dorthin gefahren, auf das Gut bei Kobryń, dazu hat sie sich die Kleider vom Leib reißen lassen, und zum ersten Mal haben andere Augen als deine oder die von deinem Jacek sie angesehen, und Jaceks Augen waren für sie immer Augen wie deine, Kostek, was du nicht wusstest, Dummerchen, und nicht weißt, weil du dumm bist, aber ich weiß es, denn ich bin weise, weise und leidend. Das Leiden macht, dass meine Weisheit unendlich ist.
Also ließ sie sich von anderen Augen ansehen, ließ sich von anderen Händen anfassen, hörte sich die blöden Reden an, die diese Orgie ungestrafter Kopulation zu etwas mehr machen sollten, als sie tatsächlich war, ein Schwachkopf mit grauem Ziegenbart faselte etwas von Mänaden, von Dionysien und der aus schlechten Fluiden sich befreienden Urkraft des Sexus.
Hätte dieser mit gelehrtem Unsinn vollgestopfte Schafskopf einmal wirkliche Dionysien gesehen, bei denen wir die Finger und Füße der schwarzen Götter berührten, bei denen
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