Morphin
stellen sich auf. Ich werde trotzig. Dzidzia lacht, ihre lange Nase zielt auf mich, als zeigte sie mit dem Finger.
«Hat mich sehr amüsiert», fährt er fort. «Deine Legende als Deutscher ist damit endgültig glaubhaft. Niemand wird mehr daran zweifeln.»
Er erhebt sich aus dem Sessel, legt die Hände im Rücken zusammen und beginnt, im Zimmer auf und ab zu wandern, den Blick geradeaus gerichtet.
«Und das brauchen wir am dringendsten. Am dringendsten», sagt er zu allen und niemandem und zu sich selbst. «Karaszewicz-Tokarzewski organisiert den Dienst für den Sieg Polens, sie haben schon Kanäle nach Paris – doch das ist alles Blödsinn, Blödsinn. Die begreifen es nicht: Die Deutschen haben den Krieg gewonnen.»
Einen Augenblick bleibt er am Fenster stehen, sieht in die Dunkelheit hinaus, als erspähte er dort etwas.
«Gewonnen», wiederholt er. «Das heißt aber nicht, dass wir uns ergeben sollten. Gewonnen haben sie, nun. Mościcki wollte meine Motoren nicht, meine Brennzellen, nichts wollten sie, deshalb haben sie verloren.»
«Der Krieg ist nicht verloren, solange nur ein Pole lebt, dem das Herz brennt», deklamiert die Łubieńska. «Was sagen Sie denn da, Stefan?»
«Unsinn, Unsinn», murmelt der Ingenieur.
«Bitte?!» Die Wohnungsinhaberin fährt zusammen und steht sogar auf, als wollte sie Rechenschaft von Witkowski.
Doch der schenkt ihr keine Beachtung. Er starrt verbissen ins Dunkle.
«Mit den Deutschen müssen wir uns einig werden», flüstert er in die Scheibe.
«Stefan», die Grabesstimme der Łubieńska macht die Luft im Zimmer gefrieren. «Hören Sie auf, das klingt nach Verrat. Schließlich haben Frankreich, England …»
Der Ingenieur steht weiter da, schaut aus dem Fenster, die kurzen Finger falten und entfalten sich auf seinem Rücken, als ließe er ein Dutzend Rosenkränze auf einmal durch sie hindurchwandern.
«Ingenieur!», empört die Łubieńska sich. «Unsere Regierung in Frankreich organisiert eine Armee, Behörden, zum Frühjahr wird es Krieg geben, den die Deutschen nicht gewinnen können, weil die Maginotlinie, die englische Flotte … Die Franzosen ziehen auf Berlin, Sikorski mit ihnen. Wie können Sie sagen …»
«Ich muss Sie bitten, sehr verehrte Dame!», brüllt Witkowski plötzlich, ohne sich umzuwenden. Alle im Zimmer springen auf, wie gestochen, nur Dzidzia bleibt ungerührt.
«Verrat, Verrat! Nur davon können sie schwätzen! Sie wie die anderen! Polen haben sie verkackt, und jetzt heißt es Verrat, Verrat. Du selber bist der Verrat, du Miststück!», stößt er in wütend lautem Flüstern aus, sodass die Łubieńska gerade noch so tun konnte, als hätte sie nichts gehört.
Dzidzia fängt an zu lachen, wie ein Mann, laut, den Kopf nach hinten geworfen, mit weit offenem Mund. Deine Mutter hätte dir früher nicht erlaubt, so zu lachen, aber jetzt ist sie nicht da, die Weiße Adlerin, also lachst du mit Dzidzia, hell und heftig.
Ich sollte eigentlich nicht so lachen, aber ich tue es.
Die Łubieńska zögert. Sie könnte eine Szene machen, uns vor die Tür setzen. Schließlich ist das ihre Wohnung. Aber das würde ihr ganzes Engagement zunichtemachen. Außerdem sieht der Ingenieur nicht aus, als würde er sich so einfach rauswerfen lassen. Also schließt sie sich lieber unserem Lachen an.
Witkowski lacht nicht.
«Um die Deutschen zu besiegen, müssen wir uns mit ihnen einigen. Je schneller, desto besser. Um uns mit ihnen zu einigen, müssen wir wenigstens so viel über sie wissen wie sie über uns. Sechsundfünfzig, du wirst unser Haupttrumpf. Du hast jetzt bereits den Hass aller anständigen Polen auf dich gezogen, das ist ausgezeichnet, jetzt musst du noch ihr Vertrauen gewinnen. Das der Deutschen, meine ich.»
Łubieńska schweigt, du schweigst, Dzidzia schweigt, sogar Witkowski verstummt plötzlich, es ist still.
«Du musst einen Weg finden, ihr Vertrauen zu gewinnen. Sobald du es hast, musst du irgendeine Position bekommen. Eine Position, die dir echte Macht und Einfluss verschafft, Sechsundfünfzig.»
«Ich kenne von Moltke. Botschafter von Moltke. Meine Mutter hat ihn mir vorgestellt», sagst du und wunderst dich selbst über deine Worte.
Die Łubieńska dreht sich zur Wand, presst die Lippen zusammen. Jetzt hat sie noch Angst vor solchen Worten, große Angst. Es ist eine begründete Angst: Solche Worte und der Strom der Ereignisse, der nun ihre Beine, ihren Körper und Geist zu umspülen beginnt, und die Tatsache, dass sie nicht mehr aus
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