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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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diesem Strom herauskommen wird, sind viele Jahre später der Grund dafür, dass ein Stilett sie aufschlitzt.
    Das weiß sie nicht; dennoch hat sie Angst.
    «Das ist gut, gut, mit diesem Botschafter. Ich habe ihn auch einmal kennengelernt, aber deine Bekanntschaft ist wichtiger, wertvoller, gut, gut. Daraus lässt sich etwas machen», sagt Witkowski. «Oder vielleicht dein Vater? Aber das mit deiner Mutter, seltsame Sache …»
    «Seltsam», pflichtest du bei, resigniert.
    «Ingenieur», sagt die Łubieńska. «Erzählen Sie ihm von der Mission.»
    «Richtig, die Mission. Wie gesagt, wir müssen eine Kommunikationslinie nach Budapest herstellen. Ich habe Signale, denen zufolge sich Oberst Steifer bereits dort befinden soll.»
    «Wer?», frage ich, womöglich naiv.
    «Steifer.» Witkowski mustert mich eindringlich. «Kennen Sie den nicht?»
    «Ach woher.»
    «Verstehe. Jedenfalls müssen Sie ihn finden. Er hat sehr gute Beziehungen. Er braucht uns, wir brauchen ihn. Wir müssen die Verbindung mit ihm aufnehmen, und zwar schnell, solange hier noch alles in Bewegung ist. Du fährst dort als Deutscher hin, ganz offiziell, mit Papieren, suchst ihn, nimmst Kontakt mit Steifer auf. Der wird schon Kurierwege über die grüne Grenze ausbaldowert haben – Pläne, Kontaktbriefkästen und so weiter, du bringst das alles für uns in Erfahrung, und so stellen wir die sichere Kommunikation her.»
    Und was bleibt dir übrig? Du sagst einfach zu, sagst ja. Budapest.
    «Du fährst mit Dreiunddreißig …»
    «Aber ich habe keine deutschen Papiere», protestiert Dzidzia.
    «Das machen wir, Papiere für Sie, machen wir. Erst mal bleiben Sie bei Siebenundfünfzig, wir besorgen die Papiere, und ihr brecht auf.»
    «Ja», sagt Dzidzia. «Und jetzt können wir wohl gehen, oder?»
    Sie sagt, was ich mich nicht zu sagen getraut hätte.
    «Gehen?», wundert sich der Ingenieur.
    «Ja. Gehen. Bisschen düster hier», lacht Dzidzia.
    Die Łubieńska entrüstet sich wortlos, aber hörbar.
    «Ich mache Kaffee», sagt sie.
    «Für uns nicht, wir gehen», sagt Dzidzia im Plural, der mich ganz offensichtlich einschließt. Niemand fragt mich nach meiner Meinung, das war gut, denn ich hatte keine.
    Du hast keine. Deshalb brecht ihr rasch auf, du reichst Dzidzia den Mantel, ziehst deinen eigenen an, und dann schweigend durchs Treppenhaus, die Haustür, und schon seid ihr draußen.
    Du und sie. Und sie gefällt mir nicht, verstehst du?
    Einen Scheiß verstehst du.
    Es zieht kalt und windig am frühen Morgen, und der Erlöserplatz hat sich ein bisschen verändert durch den beendeten Krieg. Der Morgen ist sonnig und neblig zugleich, sonnig in der Höhe, dunstig am Boden. Und es hat Frost, eine dünne Eishaut auf den Pfützen, das erste Mal in diesem Jahr. Wind in den Straßen, als wäre jede von ihnen ein Rohr mit einer großen Pumpe, die Luft aus den masowischen Ebenen und von der Weichsel hier hineinpresst. Die Kirche sieht noch fast wie immer aus, nur ein wenig zerhackt.
    «Ich würde gern einen Kaffee trinken. Und einen Cognac», sagt Dzidzia.
    «Ich hab keinen zu Hause.»
    Ich versuche, einsilbig zu sein. Dzidzia findet meine Bemühungen amüsant.
    «Du hast keinen. Unerhört. Wir gehen ins Café, Dummerchen, es muss ja wohl in dieser Stadt irgendwelche Cafés geben, oder? Ins Lours vielleicht?», lacht sie.
    Dummerchen hat sie zu mir gesagt – oder über mich, und es verschlägt mir kurz die Sprache, so perplex bin ich von der Unverfrorenheit dieses Wortes.
    «Ins Café lieber nicht. Das könnte Ärger geben.»
    «Hast du Angst vor ihnen?», fragt sie auf einmal ganz ernsthaft.
    Ich drehe mich wütend weg, bin kurz vor einem Ausbruch zur Verteidigung meines männlichen Mutes, da bemerke ich in ihrem Blick, dass sie ohne jede Verachtung gefragt hat.
    «Verständlich. Unter den Augen von Dutzenden hasserfüllter Fratzen Kaffee zu trinken, das ist kein Vergnügen.»
    «Und du, Dzidzia, hast du keine Angst, dich zu kompromittieren, wenn du dich mit mir an einen Tisch setzt?»
    «Ich habe vor nichts Angst», erwidert sie, immer noch mit der gleichen Ernsthaftigkeit.
    Du glaubst ihr. Auch wenn es gar nicht stimmt. Sie fürchtet sich durchaus vor einigem, wie jeder. Nach verbreitetem Maßstab allerdings fürchtet sie wirklich ziemlich wenig, und so glaubst du ihr zu Recht. Und ich weiß: Dies ist der Beginn einer Veränderung.
    «Ich glaube dir, Dzidzia. Ich bin nur aus anderem Holz geschnitzt.»
    «Lass uns trotzdem ins Lours gehen.»
    «Unbedingt

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