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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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Jerozolimskie und 3 . Maja erreicht der kleine Chevrolet mit achtzig Stundenkilometern, die Stoßfedern quietschen, der Motor brüllt. Um ein Haar hättet ihr einen Gendarmen im Gummimantel umgefahren. Zum Glück besitzt er nur eine Trillerpfeife, kein Motorrad; er setzt auf die Pfeife, und am Ende bleibt ihm nur, euch drohend die Faust nachzurecken.
    Am Hotel Europejski bremst Dzidzia so heftig, dass die blockierten Räder ein Stück über das Straßenpflaster schleudern. Verstehst du jetzt, Dummerchen, warum sie das Auto nehmen wollte? Da sitzen die Typen hinter den Fenstern im Lours, sehen das rasante Parkmanöver des Chevrolet und denken: Die Deutschen sind da.
    Und hier steigt, wer sagt’s, Konstanty Willemann mit einer Braut aus.
    Aber nein, aussteigen noch nicht, erst einmal bleibt ihr sitzen. Dzidzia knöpft ihre längliche Tasche auf.
    «Hier», sie reicht dir einen kleinen, flachen Colt. «Kannst du mit Waffen umgehen?»
    «Ich bin Offizier der Reserve, verdammt», erwiderst du wütend.
    «Modell tausendneunhundertdrei, ohne Hahn, Kaliber zweiunddreißig», sagt sie, als bedeutete deine Antwort, dass du keinen blassen Schimmer hast, und lacht. Ihr Lachen eine Belohnung für die, die sie verdienen, für dich dagegen eine Strafe, ein Lachen wie ein Becher kaltes Wasser an einem heißen Wandertag, doch nicht für dich.
    «Nicht schlecht! Reserveoffizier!» Sie hört nicht auf zu lachen.
    «Ja und?», fährst du hoch. «Neuntes Ulanenregiment. Ich habe den ganzen September gekämpft!»
    «Na, schon gut», sagt sie schließlich, als sie abgekühlt und wieder zu Atem gekommen ist. «Hier hast du die Sicherung, die zweite ist automatisch, im Griff. Acht Kugeln im Magazin, aber du musst erst laden, falls du schießen willst.»
    Du öffnest den Mund, willst protestieren, so wütend macht dich das, schließlich weißt du, wie man mit einer Waffe umgeht. Beim Reservistenkurs in Grudziądz hast du sogar den Pistolenwettbewerb gewonnen, mit einer völlig abgenutzten Parabellum.
    Aber Dzidzias Gelächter bringt dich endgültig zum Schweigen.
    «Steck die Pistole ein. Komm.»
    Also geht ihr. Und sie glotzen, wie Kostek Willemann mit so einer Braut aus dem Chevrolet aussteigt.
    Obwohl nein, doch nicht, neben der Kanaille Willemann steigt eine gewisse Rochacewicz aus dem Wagen, Dzidzia Rochacewicz, die ist ihnen bekannt.
    «Guck sie so an, als wolltest du jedem fett in die Fresse spucken», flüstert Dzidzia dir zu – ist das schon ein vertrautes Flüstern oder nicht vertraut?
    Die Spucke schluckst du erst mal runter, und ihr geht rein. Drinnen erst wenige Gäste, aber Stimmengewirr, das bei eurem Eintritt verstummt.
    Hinz und Kunz kommen schließlich nicht ins Lours, man weiß, wer du bist, kennt dich aus Vorkriegszeiten, der Geck in schicken, teuren Anzügen, zauberhafter Bonvivant, Reservekavallerist, Säufer, Morphinist, Hurenbock, sie kennen dich gut, ihre Frauen und Töchter waren scharf auf dich, und jetzt kommst du hier rein und stinkst deutsch.
    Ihr setzt euch an einen Tisch, Dzidzia blickt dich an, als wäre sie verliebt, und du, an solche Blicke gewöhnt, denkst dir was oder denkst dir nichts, beginnst jedenfalls, ihren Blick zu spüren. Dabei ist da nichts, Dummkopf, dummer Kostek, nur ich allein liebe dich, nur meine Liebe ist echt. Sie tut jetzt so, sie spielt, um einen Skandal hervorzurufen. Ich weiß selbst nicht mehr, was du weißt, Kostek, und was du nicht weißt. Bei Dzidzia verliere ich die Weltgewissheit, Kostek, Dzidzia erfüllt mich mit Entsetzen.
    Der Kellner kommt, steif wie aus Blech gestanzt. Ihr bestellt: zwei Kaffee, zwei Cognac, zwei Kuchen. Kuchen gibt es nicht. Na, dann keinen. Cognac gibt es nicht. Na, dann zwei Wodka, Wodka ist da. Zwei Wodka, zwei Kaffee. Vierzig Złoty. Teuer.
    Ihr sitzt da. Dzidzia schenkt dir einen so unecht schönen Blick, wie sie ihn dir nie wieder schenken wird, denn natürlich ist das jetzt nur Theater.
    Sie neigt sich zu dir und flüstert dir ins Ohr, als wäre es eine Liebeserklärung. Sie könnte flüstern: Ich begehre dich. Oder, in Anbetracht dessen, dass Dzidzia keine unterbeschlafene Tugendliese ist, könnte sie auch flüstern: Ich will dich in mir haben. Oder: Ich will, dass du mir die Zunge reinsteckst.
    Aber Dzidzia flüstert:
    «Jetzt wird einer von denen da, wahrscheinlich der im karierten Sakko, aufstehen und mich diskret darüber aufklären, mit wem ich hier sitze.»
    Hinter Dzidzia wird ein Stuhl zurückgeschoben. Ein dir zwar vom Gesicht, aber

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