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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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gerade dorthin?», frage ich unsicher.
    «Doch, ja.»
    Ich habe Angst vor ihr, Kostek. Ich habe Angst vor dieser Frau mit der langen Nase, denn sie hat etwas, das ich nicht durchdringen kann, in das ich nicht hineinschauen kann, ich verstehe nicht, wer sie ist.
    Ich habe Angst vor dieser Frau, und gleichzeitig traue ich ihr auf seltsame Weise. Wenn sie ins Lours gehen will, dann gehen wir.
    «Nehmen wir das Auto», sagt Dzidzia.
    «Wie das?»
    «Wasser ist nass. Das Auto steht auf dem Hof, warum sollten wir es nicht benutzen? Du hast deine deutschen Papiere, nicht wahr?»
    «Ob der Ingenieur damit einverstanden ist?»
    «Das werden wir ihn gerade fragen. Das Auto steht herum, also nehmen wir es.»
    «Und der Schlüssel?»
    Sie lächelt, greift in die Tasche und klimpert mit einem Bund Autoschlüssel.
    «Und das Gepäck?»
    Sie zuckt mit den Schultern.
    «Ich fahre», sagt sie strahlend.
    Daran habe ich irgendwie keinen Augenblick lang gezweifelt.
    Kurz darauf sitzen wir unter dem Zeltstoffdach eines dunkelgrünen Chevrolets. Master de Luxe, Cabrio, Modell 1937 . Schönes braunes Dach. Dzidzia am Lenkrad.
    Dzidzia fährt wie auf einer Rallye.
    Dieses Weib gefällt mir nicht, Kostek, sie ist unheimlich, Kostek, ich habe Angst vor dieser Frau, habe Angst vor ihrer langen Nase.
    Auf dem Drei-Kreuz-Platz wird sie langsamer.
    «Was denn?», frage ich.
    «Das Paradis …», sagt sie träumerisch.
    «Na ja.»
    «Warst du da?»
    Warst du im Paradis, Kostek?
    Wir lassen den Platz hinter uns, der Chevrolet fährt auf den Nowy Świat, wir gleiten schön langsam, ohne Reifenquietschen und Motorengeheul, im zweiten Gang dahin. Dzidzia starrt verträumt nach draußen. Das war immer ein wichtiger Ort für dich gewesen, der Beginn des Nowy Świat, in der Nummer eins hast du Wein und koloniale Delikatessen gekauft, Weinexperte war dort Pan Gelbfisch, ein alter, aus Königsberg gebürtiger Jude, der sich für einen Preußen im Warschauer Exil hielt, ein Griesgram mit den Kenntnissen eines Sommeliers, er hatte Mundgeruch und unerschöpfliche Verachtung für seine Kunden, an die er seine Weine nur widerwillig abgab, als müsse er ein Meisterwerk von Caravaggio an neureiche Öl- oder Kohlebarone verscherbeln, die es neben Öldrucke von Hirsch- und Heiligenbildchen hängen. Die Gewächse waren allerdings vorzüglich: Ob französisch, ungarisch, italienisch, er wusste sehr genau, was er bei den Zwischenhändlern erstand. Deshalb ertrugst du seine jüdisch-preußische Geringschätzung und erstandest Wein und Sekt, die dann in Salas und deinen Mund und oder durch die Mägen anderer Huren flossen oder in deine und Helas und der Schwiegereltern Mägen beim Mittag und bei geladenen Abendessen.
    Warst du nun im Paradis?
    Hast du getanzt unter der elliptischen Deckenöffnung, durch die von oben, vom ersten Stock die Frauen herabblickten, mit denen du nicht tanztest, eifersüchtig auf deine Partnerin? Du gingst dorthin mit solchen, mit denen du nicht im Adria oder in der Oaza gesehen werden wolltest, obwohl ihr manchmal auch im Grill Room wart, auf ein Steak, aber im Grill Room war es anders als auf dem Parkett, deshalb ging es anschließend oft mit dem Olympia vom Theaterplatz zum Drei-Kreuz-Platz, auf dem Beifahrersitz wangengerötete Mädel, mit denen ich normalerweise nicht mal schlief, obwohl sie willig waren, und das waren sie immer.
    Nicht immer, nicht immer waren sie so willig. Oft überhaupt nicht, du hast dir nur eingebildet, sie wären es.
    Willig oder nicht, wie waren sie, wie? Das ist wichtiger als das Miteinanderschlafen selbst: dass die Frau dazu bereit ist, das zählt mehr, als dass du diese Bereitschaft ausnutzt, stimmt’s?
    Ist es wichtiger oder nicht?
    «Nein, im Paradis eher nicht», erwiderst du aus Scham, denn wenn sie dich dort gesehen hätte, wäre dir das peinlich gewesen.
    «Ich schon», sagt Dzidzia träumerisch, just als wir die raue Fassade passieren, drei Säulen vor den Fenstern, vier Reihen, Rechtecke, Rechtecke.
    Als das modernistische Mietshaus Nowy Świat  3 hinter deiner linken Schulter verschwindet, Kostek, betätigt diese entsetzliche Frau einen Schalter, öffnet die Drosselklappe des Chevrolet, sechs Zylinder heulen auf, und ihr zieht ab.
    «Dort habe ich diverse Verlobte mit hingenommen. Freier, meine ich. Solche, mit denen ich im Adria nicht gesehen werden wollte», ruft sie.
    Weißt du jetzt, warum sie so furchtbar ist, Kostek? Aber dir kommt sie ja überhaupt nicht furchtbar vor.
    Die Kreuzung

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