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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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kaukasischen Schäferhundes und fiel ohne Anlass über den Flüchtenden her, der früher einmal Vanitschek hieß, sie schaffte es nicht, ihn zu töten, richtete ihn aber schrecklich zu, bis er sie durch einen Schlag mit dem Stock auf den Kopf vertreiben konnte, aber nur, um zwei Tage später dem Hunger und seinen Wunden zu erliegen.
    Ich habe gesehen, wie er starb.
    Und Baldur blickt jetzt aus dem Fenster auf das Dach deines Chevrolets. Er schaut, wohin du fährst. Ich werde eine Weile bei ihm bleiben. Die Papiere hat er verbrannt. Jetzt zieht er sich nackt aus, faltet die Sachen zu einem Würfel zusammen, wie er es im Regiment gelernt hat, in einer anderen Welt, einer Welt, in der er noch ein Gesicht hatte, einen Schwanz, und mit diesem Gesicht und diesem Schwanz ganz und gar Katarzyna Willemann gehörte und noch einem gewissen, ziemlich dummen Kaiser, der jetzt, graubärtig und im gestreiften Anzug, im Garten des Hauses Doorn in Holland auf und ab wandelt und sich immer nur fragt: Wann? Und was kommt dann?
    Und Baldur von Strachwitz steht vor dem großen Spiegel und betrachtet seinen mageren Körper. Das ausgemerzte Gesicht und das Loch im Schritt, durch das er den Harn lässt. Baldur von Strachwitz ist erfüllt von Liebe. Baldur von Strachwitz ist mit sich im Reinen.
    Baldur von Strachwitz ist glücklich, und ich habe dich verlassen, Kostek, für einen Moment, ich will jetzt bei ihm sein und will er sein.
    Baldur von Strachwitz öffnet ein hölzernes Etui, nimmt die große, alte Mauser heraus, die Oberfläche ist an vielen Stellen blankgescheuert bis auf den Stahl. Viele Menschen hat er damit getötet: Im Krieg und nach dem Krieg und nach Standgerichtsurteilen. Er tötete sie, weil sie seine Feinde waren, insgeheim aber deshalb, weil sie Gesichter hatten, die man küssen konnte, und Schwänze, die sie in eine Frau hineinstecken konnten, also schoss er ihnen in die Gesichter oder, wenn die Gesichter nicht schön genug für eine Kugel waren, ins Herz, zwischen die Beine brauchte er nicht zu zielen, das starb dort von allein ab, sobald er die Gesichter getötet hatte.
    Später hörte er auf, Menschen zu töten, es gab keine Gelegenheit mehr, die kleinen Kriege nach dem Krieg waren zu Ende. Er wollte auch gar nicht mehr töten, das verschaffte ihm keine Linderung. Später war er nach Indien und Tibet gefahren und versuchte dort etwas zu finden, was er nicht finden konnte, da mochte er noch so lange flüstern, was die rotgewandeten Priester ihm rieten, die glaubten, er würde sterben.
    «Ach, wie ich hier dank erbarmungsloser Unwissenheit im Rad des Samsara irre, geruhe mir zu sagen, ehrwürdiger Buddha Wairotschana, lichter Pfad der Weisheit Dharmadhatu! Möge mich unterstützen auch die mächtige Frau, deine Gemahlin! Ich flehe, befreie mich von dem schrecklichen, engen Pass Bar-do! Führe mich hinaus in die reinste Sphäre der Erfüllung Buddhas!»
    Doch er starb nicht und fand nichts, denn was er suchte, hatte sich im flandrischen Schlamm aufgelöst und trieb jetzt in der Erde, ihren Säften, ein wichtiges Stück von Baldur war zu Flandern geworden.
    Später reiste er durch Persien, Arabien und Nordafrika, die Familie schickte ihm nur zu gerne Geld, seine Abwesenheit war ihnen ganz recht, so ekelte er sie wenigstens nicht durch seinen ästhetischen Verfall: den körperlichen, gesellschaftlichen und, wie sie zu Recht meinten, auch moralischen.
    Er reiste wie mit geschlossenen Augen. Viele Male wurde er bestohlen, Diebe erkannten in ihm das leichte Opfer, griffen nach seinem Gepäck, wenn er schlief oder es unbeaufsichtigt gelassen hatte. Aus dem gleichen Grunde wurde er nie ausgeraubt, nie von Banditen überfallen, denn sie spürten, dass er in der Not wütend würde wie ein tollwütiger Hund.
    Er fand nichts auf seinen Reisen. Aber ihm gefielen die Turbane, wie die Tuareg sie trugen. Er versuchte, Moslem zu werden, es half nichts. Versuchte, irgendetwas zu werden, aber es half nichts, sogar Jude wäre er geworden, wenn das irgendwie geholfen hätte, beschnitten war er ja schon. Aber auch das half nicht. Er lebte eine Weile in Palästina. Kehrte zurück. Trieb sich auf den Versammlungen diverser Bewegungen und völkischer Parteien herum, bis er Ende der zwanziger Jahre in die NSDAP eintrat, wo sonst hätte er eintreten sollen, wo doch dort all seine Kameraden vom Oberland waren. Er versuchte, Geschichte zu studieren, schaffte es nicht. Ließ das mit der Universität schließlich sein, schrieb sich ein bei der

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