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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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Studiengesellschaft für Geistesurgeschichte, Deutsches Ahnenerbe e.V., und bereiste ganz Deutschland mit Vorträgen über die alten Arier, zu denen meist nur einige wenige Zuhörer kamen, hauptsächlich Verrückte, und alle starrten, statt zuzuhören, nur auf sein schreckliches Gesicht.
    Ich war da nicht bei dir, Baldur.
    Ich war früher bei dir, zu der Zeit schon nicht mehr.
    Dann kam das Jahr 1933 , später brach endlich der Krieg aus, und alles kam endlich zur Ruhe. Doch nur für kurze Zeit, bis du in der polnischen Spelunke deinen Sohn wiedersahst.
    Und jetzt, Baldur von Strachwitz, bist du nackt in deiner Verstümmlung, du bist nackt, und ich bin mit dir.
    Du stehst nackt vor dem Spiegel. Du heißt Baldur Bolko Strachwitz von Gross-Zauche und Camminetz. Feldpolizeikommissar. Rittmeister, das war einmal. Du stehst da, nackt vor dem Spiegel, in der Hand die Pistole, du bist voller Liebe, du weinst und denkst an Katarzyna Willemann, die einzige Frau in deinem Leben, und an den Hof deiner Familie, die Tanten, Cousinen und Cousins in Uniform und die Brüder und die Pferde und den Dienst, und du denkst daran, wie dein Sohn geboren wurde. Du bist voller Liebe.
    Das war’s.
    Ich verlasse dich, Baldur, und kehre zu dir zurück, Konstanty.
    Baldur bleibt auf Ewigkeiten allein vor dem Spiegel: Er ist jung und alt, nackt, verstümmelt von Schrapnell und Phosphor, er steht da voller Liebe mit der Pistole in der Hand. Er wird für immer so bleiben.
    Ich gehe und bin schon wieder bei dir, Konstanty, und du fährst am Flieger auf seinem Sockel vorbei, du fährst betrunken und wärst fast in ein Pferdefuhrwerk gekracht. Ganz schön viel Verkehr auf der Puławska für den Krieg, du biegst in die Madalińskiego ein und stellst den Chevrolet dort ab, wo du deinen Olympia immer geparkt hast, und plötzlich packt dich, betrunken, wie du bist, die Wut, hilflose Wut.
    «Gebt mir mein Leben zurück! Ihr Nutten!», schreist du und trommelst mit den Fäusten auf das Lenkrad des Chevrolet.
    Das war wohl nicht überzeugend genug, denn sie denken gar nicht daran. Wen hast du auch gemeint, Kostek?
    «Alle», antworte ich mir selbst. «Alle.»
    Ich torkle aus dem Auto, stolpere über meine eigenen Füße.
    Ich habe Angst um dich, Konstanty. Ich weiß schon, dass sie dich mir wegnehmen werden.
    Geh zurück!
    Das Paket! Ich nehme es aus dem Kofferraum.
    Ich gehe zurück.
    Die Treppe nach oben, die Tür, die Wohnung, guter Gott und schwarzer Gott, euch gibt es nicht, aber es gibt Dzidzia, sie ist da, im Wohnzimmersessel sitzt Dzidzia, mit nassem Haar und in deinem Schlafrock, zwischen dessen Schößen ihre nackten Schenkel.
    Sie verhüllt sich nicht, als er eintritt. Ich trete ein. «Hast du was gekriegt, du Unglücksrabe?», fragt sie.
    Unartig werfe ich ihr das Paket hin. Dzidzia lacht über deine Impertinenz. Sie öffnet es, sieht die Sachen durch, und ihre verächtliche Haltung schwindet.
    «Hast du den umgebracht?»
    «Nein.»
    «Woher hast du das denn?»
    «Mein Vater.»
    «Das ist die Uniform deines Vaters? Und die Papiere, die Waffe?»
    «Ja. Das Zeug passt mir. Hat dir der Ingenieur nichts gesagt?»
    Sie schweigt einen Augenblick.
    «Kein Wort. Hast du es gestohlen?»
    «Nein, er hat es mir gegeben.»
    «Was heißt gegeben? Wird er für uns arbeiten?»
    «Nein, er ist Deutscher. Er wird Deutschland nie verraten, niemals.»
    «Aber die Waffen, die Papiere?», wundert sie sich.
    Ich will mich lässig in den Sessel fallen lassen, stolpere aber auf dem Weg dorthin, ich bin betrunken, ich setze mich. Zucke mit den Schultern.
    Noch nicht, Konstanty, bitte, noch nicht jetzt.
    Dzidzia schrumpft. Sie zieht den Schlafrock über die Schenkel, die zuvor offen dalagen.
    «Du bist erstaunlich», sagt sie plötzlich in einem anderen Ton, ohne ihre bisherige Bissigkeit. «Trinkfest bist du nicht, aber gut für Überraschungen.»
    «Die Fotos müssen ausgetauscht werden. Gegen meine. In Uniform und in Zivil.»
    Dzidzia hört mir nicht mehr zu. Sie hat die Uniformbluse aus dem Paket gezogen, auseinandergefaltet, abgeklopft. Jetzt merke ich: Sie ist auch schon betrunken.
    «Passt sie?»
    «Ideal.»
    «Und warum sind die Orden ab?», fragt sie, zeigt auf die Löcher.
    «Hat mein Vater abgemacht», erwidere ich. «Ich bin ja zu jung für den Weltkrieg.»
    Dzidzia, etwas benommen vom Alkohol, runzelt für einen Moment die Brauen, dann überzieht ein breites Lächeln ihr Gesicht.
    «Was für ein Blödsinn! Zeig dich mal, los! Welcher Jahrgang bist

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