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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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nicht. Vielleicht wollen sie mich fertigmachen, könnte doch sein?
    In meinem Wohnzimmer steht Witkowskis Fahrer, mit Pilotenmütze und Lederjacke, zieht aus einer großen Zeltstofftasche einen Kasten, der nach einem tragbaren Fotolabor aussieht. Daneben steht auf hölzernem Stativ ein Fotoapparat, dazu große Lampen. Am Esstisch breitet ein mir unbekannter Mensch mit runder Brille, auf den ersten Blick ein Jude, Schreibutensilien aus.
    Dem Fahrer zuckt der rechte Arm, als wollte er beim Anblick der Pistole reflexartig in die Tasche greifen, er tut es aber nicht. Und sieht mich anders an als vorher.
    «Was soll das hier? Das ist mein Haus. Ich habe diese unangemeldeten Besuche satt.»
    «Fräulein Dzidzia hat uns eingeladen», erwidert er. «Wir dachten …»
    «Hören Sie», meldet sich der Brillenträger vom Schreibtisch. «Ihre Papiere sind große Klasse, da müssen Fotos rein, die ‹besonderen Merkmale› geändert, und alles Pomade!»
    «Kein Grund zur Aufregung, Herr Siebenundfünfzig. Ziehen Sie Ihre Uniform an, wir schießen die Fotos, und fertig», sagt der Fahrer. Brav. Versöhnlich. Gut zuredend, obwohl ich die Pistole gar nicht erhoben habe, auf niemanden ziele, ich halte sie einfach nur in der Hand, den Lauf auf den Boden. Aber vielleicht haben sie den Ladeklick der Sauer gehört. Und jetzt behandelt er mich anders, sieht mich skeptischer an.
    Ich würde dir gern erklären, Kostek, wie er dich ansieht, aber ich kann es nicht. In dir geht etwas vor, das mich abstößt, als wüchse etwas in dir, das mich herauspresst, mich aus deiner Nase und deinen Ohren sickern lässt.
    Es ist bereits im Gange, ist eigentlich schon passiert. Ich wünschte so sehr, dass du zu deiner Mutter fährst, der du dein Dasein verdankst. Du hättest ja auch nicht sein können, sie hätte dich wegmachen können, hätte schon damals in Niederschlesien diesen deinen Keim aus ihrem Schoß löffeln, ihn rauskratzen lassen können, wie Schmalz aus dem Ohr, aber das hat sie nicht getan, sie hat dich in sich gelassen und wozu, wozu, damit du sie verrätst, indem du zu ihm gehst, zu ihm, der nicht gut genug für sie war? Warum bist du zu ihm gegangen, Kostek, und hast dich von ihm liebgewinnen lassen?
    Nicht zur Mutter bist du gegangen, deshalb nimmt sie dich in ihre Gewalt.
    Ich gehe ins Schlafzimmer zurück.
    «Ich möchte mich umziehen», sage ich zu Dzidzia in der Befürchtung, sie könnte Witzchen machen, warum ich mich denn schäme und wofür, aber sie geht einfach raus.
    Ich lege die Uniform meines Vaters an. Die zerknitterte Mütze, eine runde, weiche Mütze mit Schirm, ich ziehe die hohen Stiefel an. Knöpfe den Gürtel zu, das Holster, denk dran, an die linke Seite. Die Auszeichnungen würde ich gern anheften, weiß aber nicht, wie, also gehe ich ins Wohnzimmer.
    «Ich kack mich ein», flucht der Fahrer bei meinem Anblick. Der bebrillte Jude hebt den Blick.
    «Wie aus dem ‹Stürmer› ausgeschnitten, stimmt’s?» Dzidzia lächelt. Ich lächle nicht.
    «Ich brauche das Foto, das alte. Um die Orden richtig anzuheften.»
    Sie geben es mir, ich stelle mich vor den Spiegel, auf dem Foto Baldur, im Spiegel ich, und hefte die Orden an. Im Spiegel Baldur, auf dem Foto Baldur. Oder ich.
    «Wieso tragen Sie Reithose und Stiefel, wenn hier klar steht, Geheime Polizei? Die Häscher greifen doch wohl nicht beritten an?», fragt der Fälscher vom Schreibtisch her, ohne den konzentrierten Blick vom Dokument abzuwenden, das er mit einem feuchten Pinsel bestreicht.
    «Mein Vater ist Ulanen-Rittmeister. Das heißt, er war. Im großen Krieg. Zweites Ulanen-Regiment. Das deutsche, meine ich, kaiserliche, Zweites Ulanen-Regiment von Katzler», erkläre ich ihnen, verrenne mich nicht, stottere nicht herum, rede einfach. Erkläre es ihm. Er soll es zur Kenntnis nehmen.
    Sie schalten die Lampen an. An der Wand haben sie eine Tischdecke aufgehängt, was würde Hela dazu sagen, egal. Egal? Der Fahrer fotografiert dreimal, fummelt am Objektiv. Dann ziehe ich meinen braunen, dicken Anzug an. Der Schwanz ist an seinem Platz, das hab ich überprüft.
    Wieder Fotos.
    «Dunkelkammer machen wir im Bad, Sie gestatten», sagt der Fahrer, zieht die Lederjacke aus, nimmt die Mütze ab und schließt sich dort ein, und ich durchstreife die Wohnung wie ein nervöses Raubtier.
    Dzidzia im Sessel, sie liest ein Buch. Der Jude kratzt und glättet die schrecklichen Verwundungen meines Vaters mit dem Pinsel. Das vernarbte Gewebe schuppt vom Gesicht ab, gesunde,

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