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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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dass du gekommen bist», antwortet er nur.
    «Ich brauche deine Hilfe.»
    Der Vater lächelt, ohne mich anzusehen. Ich schenke wieder ein, wir trinken aus. Ich sage, ich muss nach Budapest fahren. Ein Auto haben wir. Ich habe eine Kennkarte, fahre aber mit noch einer, die keine Papiere hat. Polin, Aristokratin. Mein Vater nickt und gibt mir ein Zeichen aufzustehen.
    Ich stehe auf, aber anders, als ich es täte, wenn meine Mutter mich aufstehen ließe. Anders sogar, als wenn sie das auf Deutsch sagen würde. Mein Vater vor mir, nah bei mir, sein magerer Körper ein paar Zentimeter vor meinem, sein schreckliches Nichtgesicht vor meinem Gesicht, ich sehe das abschilfernde Gewebe auf den unbehaarten Narben, ist es Haut, was da die Narben bewächst?
    Mein Vater betrachtet mich aufmerksam durch seine zerdrückten Lider, mit denen er langsam, fast mühselig, zwinkert. Er fasst mit beiden Händen meine Schultern an, meine Flanken, den Bauch, sehr sanft, da ist weder Druck noch Zärtlichkeit. Er stellt einen Fuß neben den meinen.
    «Ja, gut, es wird passen», sagt er.
    Er geht zum Schrank, dessen früherer Inhalt auf dem Stuhl liegt, grün und glänzend wie Säbelscheiden und schwarz wie Stiefelschafte. Er öffnet den Schrank. Zieht eine graue Jacke vom Bügel, dann Hosen, Hemd, vom Regal Socken und schwarze Offiziersstiefel.
    «Zieh es an.»
    Ich stelle keine Fragen. Ich ziehe die Schuhe aus, die Jacke, Krawatte, knöpfe mein Hemd und die Hose auf und stehe in Unterwäsche und Socken da.
    «Die Unterwäsche auch, hier hast du frische, unbenutzt. Und Socken.»
    Also ziehe ich mich aus, ich schäme mich meines Körpers, nicht weil er hässlich wäre, mein Körper ist schön, sogar das Bäuchlein habe ich im Krieg wegbekommen, sondern gerade deshalb, weil er schön, makellos, unversehrt und unvergewaltigt ist.
    Und er schaut mich an.
    Er schaut dich an, und ich habe solche Angst, Kostek, ich habe Angst um dich und davor, was er mit dir anstellen kann. Er schaut dich an, wie er sich selbst anschaute, er sieht sich selbst in deinen schmalen Hüften, den trainierten Muskeln, dem flachen Bauch und den kräftigen Schenkeln und der makellosen Haut der gut rasierten Wangen.
    Er schaut dich ohne Gram und Eifersucht an, mit Liebe, es ist Eigenliebe, wie jede elterliche Liebe. Keiner von euch weiß das, aber die Liebe zu den Früchten der eigenen Lenden ist Eigenliebe, euch selbst liebt ihr in euren Kindern, auch wenn es euch vorkommt, es wäre Liebe der edelsten Art, nein, es ist purer Egoismus.
    Baldur von Strachwitz sieht seinen nackten Sohn an und weiß selbst nicht – sagt er das oder denkt er es nur: Und du, Konstanty, hörst du die Worte deines Vaters, von dem du dich losgesagt hast?
    Baldur sagt oder denkt es nur, Krishna sagt zu Arjuna: Besser ein eigenes Karma, wenn es auch gering wäre, denn in ihm ist sogar der Tod besser als im großartigsten fremden Karma. Das hat er gelernt, das kennt er besser als die eigenen schlesischen Legenden.
    Welches ist dein Dharma, Kshatriya?
    Er fragt dich auf Sanskrit, mit dem alten Wort für Kämpfer.
    Du, Kostek, bist du ein Kshatriya? Du hast doch gekämpft, hast geschossen, den Säbel geschwungen, zum Kampf angefeuert, die Furchtsamen getröstet, durch deinen Mut ein Beispiel gegeben, Befehle gerufen, aber bist du ein Kshatriya, oder hast du eher ein löbliches, fremdes Dharma erfüllt, in dem weder Leben noch Tod irgendeine Bedeutung haben?
    Du bist kein Kshatriya, Kostek. Du bist in der Mitte zerrissen, bist nichts als Schmerz und verzweifelte Sehnsucht und Leere, und es gibt dich nicht, wie also kannst du jemand sein, wenn es dich nicht gibt, Kostek?
    Ich sehe dich, mein Sohn, sagt oder denkt Baldur von Strachwitz. Du bist da. Lebe dein Dharma. Nackt stehst du hier. Hinter dir dein Vater. Vor dir ein großer Spiegel, darin deine Blöße.
    Dein Vater reicht dir die Unterwäsche. Du ziehst sie an. Dann die stahlgrauen Kavallerie-Breeches, an den Oberschenkeln mit dunklem Leder unternäht, die langen Socken, das Hemd, Hosenträger, die graugrüne Jacke. Der Kragen, mit Ösen unter dem Hals befestigt. Knöpfe. Gürtel. Kleines Halfter mit einer Pistole, schwer, bestimmt Kaliber sieben.
    «Mit dem hier gibst du lieber nicht an», lächelt der Vater und knöpft die Auszeichnungen von deiner Brust, den schlesischen Adler, für die Verwundungen, das Eiserne Kreuz erster Klasse. Er lässt das Band zweiter Klasse, lediglich die goldene Nadel zieht er heraus, deren Bedeutung du nicht kennst. Er

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