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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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passiert, Jarosław, in diesen schlimmen Tagen, hast du in Stawisko gesessen? Was ist mit deinem schönen Kopf passiert, deiner hohen Stirn, deinen erlesenen Anzügen? Was hast du gemacht, schöner Jarosław, wie geht es deinen Kindern?
    Jarosław bemerkt mich, lächelt breit, strahlt, hebt seinen großen Leib über den Tisch, winkt mich mit seinen schönen Händen zu sich, lädt an den Tisch. Ich setze mich dazu, grüße. Jarosław sitzt mit noch zweien, sie sehen nach Offizieren aus wie viele heute, wie Vergewaltigungsopfer. Er schaut sie an mit einem Blick wie eine Reitpeitsche, sie murmeln etwas in ihren Bart, irgendwelche Rechtfertigungen, gleich, sie müssten erst noch, stehen vom Tisch auf, und Jarosławs edler Kopf wendet sich zu mir, seine breite, hohe Stirn zielt auf mich wie der Spiegel eines Flakscheinwerfers.
    «Im Krug ist Kaffee, elende Plörre», sagt Iwaszkiewicz. «Aber bedien dich. Bist du hungrig?»
    «Auf Neuigkeiten», erwidere ich.
    Er gießt mir Kaffee ein, unter der Jacke den Flachmann vorgezogen, schwupps ein symbolischer Schuss Alkohol von brauner Couleur, zwinkert mir vielsagend zu, aber nicht fröhlich, sondern mit vordergründiger Fröhlichkeit, elegant vordergründig, ich kippe den Kaffee auf einmal hinunter und wiederhole: «Also, was gibt’s Neues, Jarosław?»
    Er schweigt eine Weile, lächelt gleichsam in sich hinein, die weite Brust hebt sich in diesem einen Lächeln und senkt sich wieder.
    «Am siebten verließen wir Stawisko, sind danach ein bisschen herumgeirrt, haben die Kinder geholt … Vor einer Woche kamen wir zurück», stößt er endlich hervor. «Im Herrenhaus sitzen die Deutschen, aber das obere Stockwerk ist für uns.»
    «Und wozu bist du dann nach Warschau gekommen?», frage ich.
    «Die Stadtbahn fährt schon, bis Szczęśliwice. Weiter mit dem Fuhrwerk. Ich erkenne diese Stadt nicht wieder», antwortet er, nicht auf meine Frage.
    «Niemand erkennt sie …», sage ich, aber er hört nicht zu, unterbricht mich, redet zwanglos weiter, als hätte er mich nicht gehört.
    «Bin heute zu Simon und Stecki gegangen, dachte, ich treff dich. Aber dort sind nur Deutsche, und Ludwik Simon sitzt am Tisch und isst zu Mittag, als wäre nichts passiert, denkt bestimmt über Wyspiański nach. Ringsum Deutsche, und er isst zu Mittag, als wäre er nicht der, der er ist.»
    Ich lasse ihn reden, ich mag seine Stimme, mochte sie immer. Besser gesagt, er lässt sich nicht unterbrechen.
    «Das letzte Mal war ich am fünften September dort. Da war es leer. Zuvor am einunddreißigsten August, da war es normal. Du warst schon weg, mobilisiert. Und heute – die Deutschen hier, und Ludwik Simon sitzt über seinem traurigen Eintopf und denkt über Wyspiański nach.»
    Er verstummt, wird nachdenklich, sieht mich mit seinen großen, traurigen Fischaugen an.
    «Und du, wie hast du den Krieg erlebt?», fragt er, ohne den Blick von mir zu lassen, als wäre es ihm einen Augenblick lang peinlich, von sich zu erzählen.
    «Normal, mit dem Regiment …» Ich winke ab.
    «Im Neunten Ulanen?»
    «Ja.»
    «An der Bzura?», fragt er, den Blick auf mein Gesicht geheftet.
    «Bei Pażęczewo, später in der Puszcza Kampinoska, wo wir den Fritzen ein paar Panzer abgefackelt haben, dann nach Warschau und bis zum Ende hier, Dąbrowskifestung, bis zur Kapitulation. In Gefangenschaft bin ich nicht gegangen.»
    «Wir fuhren über das Schlachtfeld an der Bzura», sagt Jarosław, ohne mich anzusehen. «Stapelweise Sattel, meterhoch, Schober von Gewehren, die Bajonette knirschten unter den Hufen, unter den Rädern.»
    Eine Weile schweigen wir beide, als hätte sich zwischen uns diese ja doch gemeinsame Niederlage materialisiert, wäre greifbar geworden und aufgeblüht auf unserem Tisch und hätte uns in ihren Bann geschlagen.
    «Iga ist verschwunden, Jacek Rostańskis Frau, Iga Rostańska», sage ich nach einem Augenblick.
    «Jacek Rostański … das ist dieser sympathische, gutaussehende Arzt vom Ujazdowski, den du manchmal in die Ziemiańska mitgebracht hast?»
    «Genau der. Iga ist gleich nach der Kapitulation verschwunden.»
    Und wenn es Hela gewesen wäre? Was dann? Ich schlug mich mit den Deutschen an der Dąbrowskifestung, Jacek flickte die löchrigen Jungs im Ujazdowski-Krankenhaus zusammen, und einen Kilometer weiter versteckte Hela sich im Keller unseres Hauses. Jureczek war bei den Schwiegereltern auf dem Land, Hela war geblieben, sie grub Panzergräben gleich Rissen im getrockneten Schlamm. Wenn sie

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