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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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ich sehe: Ich schaffe es noch, nur zurück auf die Straße, die Hände am Lenkrad starr wie ein Gestänge, ich gebe Gas, nach links, und weiß schon.
    Es gelingt.
    Einen halben Meter vor einer quer über der Straße liegenden Kiefer kommen wir zum Stehen. Endlich Luft, unsere Lungen atmen aus. Aber ich spüre noch ein Zittern im Körper, eine Erregung, ich sehe hin, denke schneller: Der Baum ist umgesägt. Frisch.
    «Hinlegen», schreie ich zu Dzidzia und öffne mit der Linken die Tür, greife mit der Rechten nach der MP i und stürze mich aus dem Auto. Geschafft. Zu spät.
    Aus dem Wald eine grüne Uniform, die auf mich losgeht. Das Bajonett auf dem Gewehrlauf, das Bajonett wird meine Brust durchbohren. Der französische Adrian-Helm. Aber er stolpert über einen Stein, verliert das Gleichgewicht, stürzt nicht, kommt aber aus dem Rhythmus.
    Ich schaffe es. Den Verschluss zurückgerissen. Ich habe nie mit einer Maschinenpistole geschossen. Ich schieße, schlecht, bizarr, im Liegen und aus der Hüfte, den Kolben auf die Erde gestützt, aber die grüne Uniform, der französische Adrian-Helm sind nah.
    Getroffen, zwei Kugeln in die Brust: Er stürzt, liegt da. Im Wald Pferdewiehern. Ein Hinterhalt. Polnische Ulanen. Ich habe einen Menschen getötet.
    Ich kenne das Gesicht dieses Soldaten, dem zwei Kugeln in der Brust sitzen.
    Ein Gewehrschuss fällt, trifft aber nicht, ein Staubwölkchen, ganz in meiner Nähe, ich kann den Schützen nicht sehen. Ich hätte sterben können, jetzt und für alle Ewigkeit Amen. Aus der geöffneten Autotür über mir knallt Dzidzias Pistole. Ein zweiter Gewehrschuss, wieder daneben, ich drehe mich auf den Bauch und feuere eine Serie in den Wald ab, als hätte ich ein MG , ich treffe niemanden, und das Schloss klackt, wenn die Nadel die Luft in der leeren Patronenkammer löchert; Stille, Ende. Ich weiß, dass ich verloren habe, niemanden getroffen, kein zweites Magazin zu Hand, das liegt in der Patronentasche im Auto. Unerreichbar. Hätte nicht alles in einer einzigen blöden Salve verschießen sollen. Auch Dzidzias kleine Pistole schweigt. Ich drehe mich auf den Rücken und greife nach dem Holster an der Hüfte, weiß aber, dass ich es nicht schaffen werde, denn aus dem Wald rennt jetzt eine zweite grüne Uniform, ein Ulan, Helm ebenfalls französisch, Adrian, und darunter erkenne ich: Oberulan Bociąga, nur ohne MG , dafür mit einem kleinen Gewehr. Stürzt mit dem Bajonett auf mich los, Bociąga schießt nicht.
    Der lebt doch gar nicht mehr, hat sich in der Górska einen Kopfschuss eingefangen, am Sielce-Wäldchen, als ich ihn ans MG scheuchte, durch den Helm ging die Kugel mitten in die Stirn, hinten kam sie wieder raus, die Schultern mit Blut und Hirn besabbert, den Kopf ließ er auf den Kolben sinken und auf den Unterarm, als schliefe er nur, der Rücken voll Blut und Hirn, und jetzt stürzt er sich auf mich – nicht auf mich, auf Baldur von Strachwitz, das Bajonett kommt auf mich zu, Ende.
    «Halt!», schreit es aus dem Wald.
    Bociąga, der nicht lebt, wir haben ihn an der Kirche der Auferstandenen vor nicht mal einem Monat begraben, was allerdings keinerlei Rechtfertigung dafür ist, dass er jetzt mit dem Bajonett auf mich zustürzt, dessen Kopf schnurstracks durchschossen war und dessen Körper vollständig und katholisch begraben liegt, auch wenn es bei den Auferstandenen war. Er stürzt auf mich zu, ist er wiederauferstanden? Ich knöpfe den Holster auf, ich werde es nicht schaffen.
    Aber er kommt nicht. Eine Sekunde lang denke ich, Dzidzia hätte ihn mit der Pistole erschossen, aber Dzidzia hat ihn nicht erschossen, sie scheint das zweite Magazin in ihrer Handtasche nicht rasch genug gefunden zu haben, wenn sie überhaupt eins hatte, und jetzt zerrt jemand sie an den Haaren aus dem Chevrolet, und Dzidzia brüllt, lass los, du Dreckskerl!, brüllt sie. Ihr Schreien kündigt das Hochreißen des Rocks an, das Zerreißen von Unterwäsche. Ich habe so ein Schreien noch nie gehört, niemals hat jemand vor meinen Augen eine Frau vergewaltigt, dennoch kommt es mir bekannt vor.
    Es ist wohl kaum wegen Dzidzia – aber der furchtbare Ulan Bociąga ist stehen geblieben. Er hat mich nicht mit dem Bajonett durchbohrt, das Bajonett hat an meiner Kehle haltgemacht, die Spitze auf der Haut, meine rechte Hand erstarrt am halbabgeknöpften Holster, schon war der Gürtel von der Klammer gelöst, nur noch das Holster aufknöpfen und die Pistole ziehen, doch zu spät.
    «Nicht töten!», ruft es

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