Morphin
aus dem Wald.
Ich kenne die Stimme. Er kommt raus. Wie eine Sanduhr, der Mantel eng gegurtet, unten breit, in den Schultern breit, die Taille eng, Säbel, Rogatywka, der Virtuti-Orden an die Brust geheftet, Stiefel geputzt, Sporen, das Holster am Gürtel, die ViS-Pistole in der Hand. Rittmeister Chochoł. Hinter ihm zwei weitere Männer: ein Ulan und ein Infanterist mit tiefem Infanterie-Helm.
«Was ist mit Korporal Waniczek?», fragt er und zeigt auf den, den ich erschossen habe.
Der Infanterist zieht die Hand über die Kehle.
Ich habe einen Menschen getötet. Ich empfinde nichts. Ich habe nicht erwartet, irgendetwas zu empfinden. Ich habe keine Angst davor, Menschen zu töten, denn ich fürchte auch meinen Tod nicht.
«Tot.»
«Tot», sagt Chochoł nachdenklich, dann kommt er auf mich zu, bleibt über mir stehen, erkennt mich plötzlich und erkennt mich nicht. Erkennt mein Gesicht und erkennt mich nicht.
«Willemann?», fragt er. Und wenn man seinen Augen überhaupt trauen kann, er tat es nicht. Manche trauen ihren Augen nie.
«Das ist er, Herr Rittmeister», erwidert Bociąga. «Nur in einer anderen Uniform. Aber er ist es. Ich erinnere mich an ihn, in der Dąbrowski-Festung …»
«Scheiß auf Dąbrowski, du warst doch in meinem Zug, du Scheißkerl, und bist erschossen worden!», sage ich.
«Orządała, nehmt ihm die Waffen ab», befiehlt der Rittmeister.
«Er hat Waniczek umgebracht. Totgemacht.»
«Das ist doch Bociąga, der Oberulan Bociąga», bestehe ich auf der Anerkennung der Wahrheit.
«Bist nicht bloß ein Verräter, Willemann, bist jetzt auch noch verrückt geworden?», fragt Chochoł nüchtern. «Bociąga ist in der Górska erschossen, bei der Kirche der Auferstandenen begraben. Das hier ist Wachtmeister Orządała, Chevauleger von den zweiten Chevaulegers, der ist in keinster Weise erschossen, Willemann, hast dir zu wenig Mühe gegeben.»
«Herr Rittmeister, was machen wir mit der Deutschennutte?», fragt der Soldat, der Dzidzia aus dem Auto gezerrt hat und sie jetzt an den Haaren festhält, sie im Dreck knien lässt.
«Warum Deutschennutte?», wundert sich der Rittmeister und steckt die Pistole weg.
«Weil sie Polnisch geschrien hat. Und sich mit einem Deutschen rumtreibt.»
«Ach so, richtig. Aber, was sollen wir denn mit ihr machen …?» Er bricht etwas begriffsstutzig ab.
Der Soldat wird verlegen.
«Na ja, Herr Rittermeister … Sie wissen doch. Die ist ein Prachtweib. Und wir haben lange nicht …»
«Später vielleicht. Jetzt muss ich sie verhören, bevor wir entscheiden, was und wie, und wo? Klar?»
«Waniczek hat er umgebracht», sagt Bociąga-Orządała düster, als er mir die Waffe abgenommen hat, sagt es, als wolle er mich hier auf der Stelle erschießen, bevor ich überhaupt auf die Beine komme.
«Ich habe den Herrn Rittmeister in Warschau gesehen. Vorgestern. Ich habe Sie auf der Straße angefahren, mit diesem Auto, dem Chevrolet», sage ich, immer noch auf dem Boden liegend, zu meiner Verteidigung.
«Kann mich nicht erinnern, dass wir uns gesehen hätten.»
«Aber wirklich.»
«Wissen Sie, Herr Willemann, mir war nicht ganz gut in den letzten Tagen.»
Sie heben mich auf, Orządała und der Schütze im runden Helm, heben mich und tragen mich und Dzidzia hinter mir durch den Wald ins Feldlager, und es regnet die ganze Zeit.
Unverdient werde ich gedemütigt von diesem Nieselregen, Baldur von Strachwitz, denn ich habe doch niemanden verraten.
Unverdient, weil ich niemanden verraten habe, ich, Konstanty Willemann, ich.
Hinter mir her ziehen sie Waniczek, den ich erschossen habe, über die feuchte Streu des Waldes. An Bociąga-Orządałas Schulter baumelt leblos und untätig meine Maschinenpistole.
«In Warschau haben Sie gesagt, Herr Rittmeister, wenn ich mich nicht täusche, dass Sie der König von Polen sind», sage ich.
Chochoł dreht sich zu mir, verwundert.
«Ich heiße Jan Chochoł und bin der letzte König von Polen», sagt er, erstaunt, dass ich das überhaupt hinterfrage.
Orządała nickt und bestätigt das Unstrittige.
Das Leben ist ein Traum.
Aber dies ist keiner.
Im Lager brennen Feuer, zwei ärmliche Zelte, drei Pferde – ein gutes Reitpferd und zwei Schindmären, Tiere für zweirädrige Infanteriewagen, keine Kavalleriepferde, und bei ihnen ein Pferdeführer.
Man setzt mich ans Feuer, neben mir die Deutschennutte Dzidzia. Auf pferdelosen, im Kreis aufgestellten Sätteln sitzen wir, denn Pferde gibt es zu wenig, und irgendwo drauf muss
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