Morphin
Nein. Dies ist die kleine ungarisch-slowakische Grenze. Auch sie hatten hier ihren kleinen Krieg, keinen mit Armeen, einen mit Bataillonen, Kompanien, ein paar slowakische Avia wurden in den Himmel gejagt und ein paar ungarische Fiat, ein paar sind abgestürzt, einige Dutzend Tote, mehr nicht, dann ein schwieriger Friedensvertrag, ein paar Orden und Schluss, ein Minikrieg, und der hat diese kleine Grenze hierher verschoben, an diesen gestreiften Pfahl, vor diesen nagelneuen Schlagbaum mit grellbuntem Wappen, eine Bude davor, ein Schild «Magyar Királyság» und zwei hübsche Gendarmen in schwarzen Hüten, Federbüschen und Mänteln mit zweireihig glänzenden Knöpfen und buschigen Schnauzbärten, aber sicher, und Bommel und ein richtiger Säbel und kurze Gewehre, lange Bajonette auf den Gewehren.
«Jó reggelt. Magyar határellenörzés. Láthatnám a papírjait, uram?», sagt der dumme Gendarm, als ich anhalte und die Scheibe herunterlasse. Obwohl er sehen muss: Der Chevrolet hat ein polnisches Kennzeichen, und darin sitzt ein Deutscher.
«Guter Mann, sprichst du Deutsch?», frage ich mit der ganzen Verachtung, die ein Soldat für einen Greifer empfindet, selbst für so einen mit Säbel, Bommel und Federbusch.
Geheime Feldpolizei.
Du selbst bist ein Greifer, Kostek. Du bist Baldur von Strachwitz, früher warst du Ulan, konntest im gestreckten Galopp mit schwerem Säbel dahinrasen, jetzt hast du keinen Schwanz, kein Gesicht, trägst die Uniform der Geheimen Feldpolizei, vor der sich richtige Soldaten mehr fürchten als vor dem Feind. Du brauchst keine Waffe, hast nur deine kleine Pistole, Kaliber sieben, eine Beamtenwaffe, die vor allem nicht stören soll.
«Natürlich spreche ich Deutsch. Aber wir sind hier in Ungarn, ich bin ungarischer Gendarm, und als ungarischer Gendarm bitte ich Sie um Ihre Papiere.»
Ich reiche sie ihm. Hier ist Ungarn. Selbstverständlich. Dzidzia auf der Rückbank macht keinen Mucks, sie schläft, unter ihrem Pelz. Der Gendarm fragt mich überhaupt nicht nach ihr. Er reicht die Papiere zurück, salutiert.
«Einen schönen Aufenthalt, Herr Offizier.»
«Danke. Auf Wiedersehen.»
Also fahre ich weiter. Wir fahren, wir sind zwei oder fünf Kilometer gefahren, da kommt eine Kreuzung, rechts nach Hernádszentistván. So ein Wort, bei dem man am Ende schon vergessen hat, mit welchem Buchstaben es anfing. Für den Weg nach rechts gibt es kein Straßenschild.
«Ich habe überhaupt nicht geschlafen», sagt hinter meinem Rücken plötzlich Dzidzias Stimme. «Und jetzt muss ich pinkeln.»
Es schüttelte mich geradezu, warum schüttelte es dich? Mich schauderte, so überraschend kamen die Worte, wie aus dem Nichts, wie ein «Hopp» aus dem Hinterhalt, furchtbar. Aber nicht so furchtbar wie dieses «pinkeln». Eine Dame sagt so etwas nicht. Nur Dzidzia kann, Dzidzia darf sich das erlauben.
Dzidzia ist das nicht peinlich, Dzidzia muss sich für nichts schämen, Dzidzia ist über jede Scham erhaben.
Du hältst, zweihundert Meter hinter der Kreuzung halte ich an. Es ist ganz warm, viel wärmer als bei uns. Die Karpaten schirmen die Kälte ab. Dzidzia steigt an der Beifahrerseite aus, nachdem sie geschickt von der Rückbank geklettert ist, entfernt sich zwei Schritte vom Auto, greift in der Hocke unter ihren Rock und zieht das Höschen runter.
Hab ich geguckt? Geguckt hab ich nicht, aber gesehen, hab heimlich wie ein Dieb geschielt.
Das Höschen schiebt sie bis zu den Knien, rafft den Rock hoch, hockt sich hin und pinkelt, wischt sich mit etwas ab, das sie aus der Tasche holt, zieht die Hose hoch, streift den Rock nach unten und kommt zurück zum Auto.
«Hier hast du eine Karte, Straßenkarte von Ungarn, schon mit den neuen Grenzen. Fahr und halt erst an, wenn wir vor dem Hotel Gellért parken», befiehlt sie, während sie sich auf die Rückbank zwängt.
«Aber wie finde ich dieses verfluchte Gellért?», frage ich verzweifelt und schäme mich sogleich, dass ich so verzweifelt weinerlich traurig dumm gefragt habe. Ich, ganz ich.
«Ganz einfach. Fahr so lange, bis du an die Donau kommst. Dann fahr den Donauboulevard am Fluss entlang, bis zur Franz-Josef-Brücke. Ferencz József híd, auf Ungarisch. Wenn du an die Horthy-Brücke kommst, dann bist du zu weit und musst umkehren. Du fährst über die Brücke und bist direkt beim Hotel Gellért. Dann weck mich.»
Und sie deckt sich mit ihrem Pelz zu.
Und ich, statt mich um den Weg zu sorgen, denke wieder über ihr Pinkeln nach. Warum hatte sie
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