Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
Vom Netzwerk:
Himmel bewölkt wie überall, aber kein Schnee, kein Oktoberschnee fällt. Wir fahren.
    Ich würde dir etwas sagen, wenn du mich nur zu Worte kommen ließest, Kostek, mein geliebter, mein lieber, mein einziger schöner Junge, mein Leben mein Herz meine Liebe.
    Wenn du nur für einen Augenblick die Klappe hieltest, Kostek, wenn diese Logorrhö aufhörte, die diese kleine, fiese Nutte in dir auslöst, die jetzt auf der Rückbank schläft, die schamlos gepinkelt hat, gepinkelt, um dich zu erniedrigen, Dummkopf, um dir zu zeigen, dass du ihr Diener bist, in dessen Gegenwart man pinkeln scheißen mit einem anderem vögeln kann, weil du keine Augen hast, weil du keinen Menschen in dir hast, erniedrigt hat sie dich, die dumme Schlampe, ich hasse sie, und wenn dein Wortschwall mal zum Versiegen käme, mein Lieber, würde ich dir sagen, warum.
    Ich werde es dir so oder so sagen, mein lieber Junge.
    Du denkst nicht deshalb an die Kelten Slawen Awaren Siedlungsorte Sprachen Isoglossen Etymologien indoeuropäischen ugro-finnischen Substrate, weil dich deine Mutter damit angesteckt hätte. Du denkst daran, weil du dir einbildest, du würdest einen Sinn und eine Ordnung darin entdecken. Weil du dumm bist und nicht weißt, dass du dergleichen nicht einmal entdecken könntest, wenn da wirklich eine Ordnung wäre; aber keine Sorge, es gibt sie nicht, und du wirst sie umso weniger entdecken, da kannst du dir die Augen über den Büchern blindlesen, mein Lieber, nichts wirst du erkennen.
    Und doch begehrst du nach dieser Ordnung, mein Lieber, wie nach nichts anderem; denn wenn du sie hättest, dann gäbe es auch einen Sinn, und dein Dasein könnte von ihm erfüllt sein, trotz der Brüche und der Leere, die du in dir trägst.
    Ich sehe dich jetzt an, mein Liebling: wie du mit dem stolzen amerikanischen Auto über die gute Straße durch das vom Krieg unberührte Ungarn fährst; in stolzer, deutscher Uniform. Du hast kräftige Hände und lange Finger, mein Lieber, du umgreifst das Lenkrad, hast mit der Schuhspitze das Fernlicht eingeschaltet, es zerschneidet die graue Dämmerung.
    Ich sehe dich an und überlege, wie leicht sich jemand täuschen lassen könnte, sogar jemand, der alles weiß: Der weiß von deinem kristallenen Champagner Wodka Morphin Kokain von den Frauen von Salomé Iga Dzidzia von den Autos und Pferden und der polnischen Uniform von dem Zivilanzug dem ausgeschälten Auge der Lemberger Kanaille, vom Scheißen im Hauseingang auch, von deinen schrecklichen Warschauer Eskapaden und denen aus der Vorkriegszeit, von der deutschen Uniform und deiner Mutter und deinem Vater ohne Gesicht, von allem; jemand, der das wüsste, wie leicht würde der sich täuschen lassen und glauben, nichts von dir wissen, doch ich weiß, Kostek, ich weiß, weiß alles.
    Denn was gibt es hier schon zu wissen.
    Dich gibt es nicht; du bist leer, im Innern leer, ein hohler Mensch, als blickte man ins Innere einer Statue, durch die offenen Fenster der Augenhöhlen, des Mundes, der leere, hohle Kostek trägt deutsche Uniform, hält das Lenkrad des Chevrolet und fährt gerade durch Miskolc. Und dieser Kostek guckt auf die Benzinanzeige, wird es reichen? Es wird. Auf den Tachometer guckst du auch, aber anders, und du fährst, mein leerer, eitler Kostek, der in diesen vorhistorischen Spinnereien niemals eine Ordnung gefunden hat, auch keine Rechtfertigung, denn nichts ist gerechtfertigt und nichts hat einen Sinn.
    Und du fährst weiter, mein Lieber, fährst. Und sie schläft, obwohl sie dieses Isophan genommen hat. War es Isophan? Ich weiß, weiß es, aber ich kann es dir nicht sagen, Lieber, denn du hörst mich nicht mehr, hörst nicht mehr auf mich, brauchst mich nicht, willst mich nicht, richtig, mein Lieber? Du willst mich nicht.
    Du fährst durch Miskolc, Brücken und Viadukte, Pflaster, Kopfstein, dann wieder Asphalt, die Autos die ganze Zeit alle auf der falschen Straßenseite, in den Städten fährt sich da schwieriger.
    Es dämmert, und wieder die blassen, schwächlichen Lichter des Dorfes, anders als die gesunden, munteren, elektrischen Lichter unserer Städte, die kräftigen Lichter der Städte. Hier ist kein Krieg.
    Gute Straße, gute Fahrbahndecke, besser als bei uns, draußen die Nacht. Man fährt achtzig, neunzig, sogar auf hundert kann man ein paarmal beschleunigen, und dann ist es gut, der Rand der Straße verschwindet, es bleibt nur Nacht, die Straße, das Dröhnen des Motors und die Scheinwerferkegel auf dem Asphalt, der rechte Fuß auf der

Weitere Kostenlose Bücher