Morphin
Franz-Josef-Brücke hinaus.
Lautlos schließt sich hinter uns die Tür, mächtige, geschmacklose Möbel im Raum, schwere Stores um die großen Fenster, flauschige Teppiche und hohe Decke und verzierte Türen zu den Schlafzimmern und ein elektrischer Kronleuchter mit unzähligen kristallenen Tränen, an keiner davon eine Spur von Staub. Das ist ein Hotel.
Dzidzia hat sich auf die Couch geworfen, ohne Mantel oder Schuhe auszuziehen. Es klopft, ich öffne – der Boy bringt unsere Koffer und Taschen. Ich gebe ihm einen Dollar, er dankt artig auf Deutsch und verschwindet.
«Ich mache mich frisch, zieh mich um, dann können wir los», sage ich schüchtern.
«Mach, mach.» Dzidzia winkt gleichgültig ab.
Also gehe ich. Rufe den Concierge an, gebe Auftrag, mir Smoking und Hemd zu bügeln und die Schuhe zu putzen, binnen drei Minuten kommt ein Lakai und holt alles ab, und ich steige in die Wanne und schlafe dort ein.
«Na los, rasier dich und zieh dich an, ich würd gern heute noch rauskommen, es ist schon zehn Uhr», sagt Dzidzia, und ich denke, dass ich das träume, aber nein. In Unterwäsche steht sie in meinem Badezimmer, ich hebe mich aus dem Wasser, bedecke meine Scham. Sie lacht und geht raus. Ich steige aus der Wanne. Habe Kopfschmerzen, schaue in das Spiegelschränkchen und finde darin Aspirin, nehme zwei, spüle sie mit Leitungswasser runter.
Dusche kalt, um wach zu werden, warm, um mich aufzuwärmen. Rasieren, guter Gott, im warmen Bad, mit warmem Wasser, im hellen Licht und alles, wie es sein soll, heißes Wasser, Öl, Schaum, langsam mit dem Strich, ein zweites Mal Schaum und gegen den Strich, kaltes Wasser, Balsam. Die gebügelte Kleidung liegt auf dem Bett in meinem Schlafzimmer, also frische Unterwäsche, weißes Hemd mit gestärkter Brust, schmucke Perlmuttknöpfe, Smoking. Die Fliege binden. Eau de Cologne. Ein Blick in den Spiegel: Ich bin’s. Das bin ich.
Ich trete in den Salon. Dzidzia wartet schon, elegant, bescheiden, schön und hässlich gleichermaßen, alterslos, wie alt mag sie sein, fünfundzwanzig oder zweiundvierzig? In einem knielangen Kleid, sehr dunkles Burgunderrot. Kein Krieg, woher denn Krieg.
«Darin bist du gut, Konstanty», sagt sie anerkennend. «Als wärst du geschniegelt auf die Welt gekommen.»
Den Staubmantel, den ich eingepackt hatte, nehme ich nicht mit, er passt nicht zum Smoking, also bitte ich den Portier, uns ein Taxi zu rufen, und frage Dzidzia nach der Adresse, radebreche sie verunstaltend an den Fahrer weiter, der nickt fügsam, und wir fahren, nicht lange, einmal um den Gellértberg herum, wir fahren vorbei am Budaschloss auf dem Budahügel, es ist gut zu sehen, weil ebenfalls illuminiert, kein Krieg hier, überhaupt kein Krieg, ein paar Dollar habe ich im Hotel getauscht, ich zahle in Pengő, und wir steigen aus.
«Hier ist es», sagt Dzidzia.
Ein kleines Schild, Borozó, grüne Tür. Drinnen nicht gerade ein Smoking-Etablissement, aber ein Smoking stört hier auch nicht. An den Tischen Arbeiter, schnauzbärtig, hellhaarig, leeren ihre Gläser mit Weißwein, sagen nichts, schweigen. Daneben eine Handvoll Intellektueller, anständig gekleidet, einige sehen nach Juden aus, sie trinken auch, essen eine Art Pastete, weiter hinten wieder Arbeiter oder Kutscher, dieser Typ, und in der Ecke zwei Männer im Frack, die dünn geschnittenen Speck essen und etwas Durchsichtiges aus kleinen Gläsern trinken. Ich kenne die ungarischen Sitten nicht und weiß doch, was sie tun, ich selbst habe das oft getan – mich in einer anspruchslosen Kaschemme warm trinken, bevor es in die goldenen Spiegel- und Kristallsäle ging, so ist es besser, gesünder, lustiger.
Wir nehmen an einem langen, schweren Tisch Platz, einem massiven Eichentisch.
Ich bin sehr erschöpft, jetzt spüre ich das. Habe nicht geschlafen, habe seltsame Tabletten geschluckt, Cognac getrunken, fast einen ganzen Flachmann am Ende, aber ich bin auch sehr hungrig, und mir dreht sich plötzlich alles im Kopf, aber Dzidzia bestellt schon bei dem höflichen Kellner mit pomadisiertem Schnurrbart und pomadisiertem Haar, Dzidzia bestellt: Leberpastete, Speck mit Paprika und Salz, Brot mit Schmalz und Rotwein. Niemand schenkt uns Beachtung, man hatte wahrgenommen, dass wir hereinkamen, uns setzten, bestellten, und das war’s, mehr nicht, was sollte sein, und dennoch war es fast seltsam und ist nun ein seltsamer und schöner Überreichtum – man schenkt ein, deckt den Tisch und trägt auf.
Ein himmlischer Stapel
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