Morphin
nicht wollte, das ist wichtig. Nichts ist wichtiger.
«Wirst du dich jetzt mit ihm treffen?», frage ich ebenso leise, wie sie sprach.
«Nein. Wozu?»
«Gehen wir.»
Dzidzia nickt gedankenverloren. Ich bitte um die Rechnung. Die polnischen Offiziere wanken hinaus, nachdem sie ein sattes Trinkgeld gegeben haben. Das Trinkgeld freut den schnauzbärtigen Kellner aber nicht, wie denn, die Herren Offiziere verschwenderisch, lieben die ihr Vaterland nicht? Ich mag dich nicht, schnauzbärtiger Kellner. Aber ich lasse ihm ordentlich was springen, wir gehen. Die Nacht ist kalt, aber wir gehen zu Fuß.
Wir torkeln, also lege ich den Arm über Dzidzias Schulter, und wir torkeln gemeinsam. Da bleibt sie plötzlich stehen und fängt an zu weinen.
«Was, Liebes, was denn?», stammle ich.
«Hier war der Tabán, so hieß es, ein mieses und wunderschönes Viertel, Häuschen, Kneipen, Bordelle, die Zigeuner spielten … Ich weiß noch, wie ich das erste Mal hier war, ist zehn Jahre her, ich war so ein gutsituiertes Fräulein, war zu Hause weggelaufen und wollte etwas sehen, eine Zigeunerin las mir aus der Hand und sagte mir weis. Sie sagte, sie sieht mich inmitten von serbischen Banditen und dass ich unglücklich würde, aber ein erfülltes Leben haben werde, eines wie zwanzig andere Menschen zusammen nicht, dumme Zigeunerin. Und jetzt haben sie das alles abgerissen.»
Dzidzia weint, ich drücke sie noch fester an mich, ich weiß ja, dass sie nicht um dieses Tabán weint, sondern um ihre Liebe, um ihren Ungarn, der sie nicht wollte und dessen Frau ihm einen Sohn geschenkt hat, trotz ihrer schmalen Hüften.
Wir gehen runter an den Fluss, zur Elisabethbrücke, wir gehen den lichterglänzenden Boulevard entlang, als normale Menschen unter normalen Menschen, ein betrunkener Mann im Smoking mit beschwipster, eleganter Frau, kein Krieg; bei uns zu Hause ist auch kein Krieg mehr, aber anders als hier, hier gibt es keine Deutschen, nur meine deutsche Uniform, es gibt Baldur von Strachwitz, und den habe ich zur Reinigung gegeben, jetzt blasen sie ihn bestimmt gerade mit Dampf auf, meinen Vater Baldur, bürsten ihn aus und hängen ihn dann in den Zimmerschrank, hängen ihn, zugeschnitten auf seinen Leib auf meinen Leib, graugrün und mit Orden geschmückt, in den Schrank.
Hotel, Fahrstuhl, Zimmer. Dzidzia weint nicht mehr. Ich würde sie gern küssen, ihre Lippen suchen meine Lippen, oder suchen sie sie nicht? Aber nicht so, so will ich nicht. Nüchtern schätzt sie mich gering, und betrunken ist sie mein, nein, so will ich es nicht, also setze ich sie in den Sessel und greife in die Bar, schenke Cognac in zwei Gläser, zum Abschluss der Nacht und des Tages und der Nacht, der Reise, der glücklichen Reise, denn Chochoł und die Schießerei habe ich vergessen, auch Dzidzia denkt wohl nicht mehr daran, als hätte es das nie gegeben, also reiche ich ihr das Glas und setze mich ihr gegenüber.
«Auf unser Wohl, liebe Reisegefährtin», sage ich.
Dzidzia schaut verständnislos in ihr Glas, dann sieht sie mich herausfordernd an, ich weiß nur nicht, wozu sie herausfordert, bis sie den ganzen Cognac auf einmal runterkippt, im Sessel zusammensinkt und plötzlich hochfährt, sich den Mund zuhält und ins Bad rennt. Ich weiß, das gehört sich nicht, ich sollte das nicht tun, aber ich laufe ihr nach, halte ihr Haar, als sie in die Klomuschel kotzt, reiche ihr Wasser im Zahnputzbecher, sie spült den Mund aus, sieht sich im Spiegel und sieht mich im Spiegel, dreht sich um, auf einmal nüchtern oder zumindest wie nüchtern.
«Geh raus, bitte. Aber geh noch nicht schlafen», flüstert sie.
Ich gehe raus, sinke in den Sessel. Lasse den Cognac stehen, habe keine Kraft mehr zu trinken, will nicht mehr trinken. Die Reise, die Glückspillen, ich weiß immer noch nicht was für welche, Cognac aus der Flasche, Wein, Obstbrand, nun wieder Cognac, es reicht.
Ich stehe auf, ans Fenster. Draußen die Brücke, die Bögen angestrahlt, irgendwo dort schon das Grau des Morgens, Nebel über der Donau und in diesem Nebel die zerstäubten Lichtkugeln der Laternen und die Reihen der Glühlampen auf der Brücke, ebenfalls zerstäubt. Autoscheinwerfer. Eine Straßenbahn.
«Willst du mich, Konstanty?»
Ich drehe mich um. Konstanty. Dzidzia in der Tür, in Unterwäsche, in Strumpfhosen.
«Ja. Aber nicht so …», antworte ich und wundere mich über meine Worte und fürchte plötzlich, sie verletzt zu haben, aber ein Blick genügt, um zu sehen, dass sie nicht
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