Morphin
Straßenbahnen. Der banale Lujza tér, aber darauf ein großes, würdiges Gebäude, ein Schild: Nemzeti Színház, sieht aus wie ein Theater und hat gegenüber dem Warschauer Theatern den Vorteil, nicht im Geringsten ausgebrannt zu sein. Linksverkehr, daran gewöhnt man sich schwer, auf freier Strecke ist es einfach, in der Großstadt schwieriger, ich fahre vorsichtig. Lichter, Laternen, Neon.
Mein Leben, das mir weggenommen wurde. Ich ließ es mir wegnehmen. Ließ es zu. Ich mochte dieses Leben. Ich wünsche ihnen, dass die Fenster dieser Stadt auch bald kreuzweise verklebt sind, dass sie verbrennt, denn es ist nicht meine Stadt, die meine ist verbrannt und vergewaltigt, ihr Straßenpflaster ist aufgerissen, die Laternen leuchten nicht mehr.
Auf der Brücke, die nach Kaiserin Elisabeth benannt ist, hätte ich fast Dzidzia geweckt, damit sie das sieht: Hunderte von Laternen spiegeln sich in der Donau, am Ufer sind Barken und Schlepper vertäut und kein, kein, kein Krieg, als hätte es hier noch nie einen Krieg gegeben, als würde auch niemals Krieg sein. Aber ich wecke sie nicht, schließlich kennt sie Budapest, hat es tausendmal gesehen.
Nach der Brücke eine scharfe Kurve, ich bin überrascht, die Reifen quietschen, ich kann gerade noch links abbiegen und fahre den Donauboulevard entlang, am Fuß einer Erhebung, die ich anhand der über mir vorbeigleitenden Lichter erahne, und ich fahre, auf der anderen Flussseite fahren sie auch, die Scheinwerferlichter, die erleuchteten Vitrinen von Cafés und Restaurants. Auf meiner Seite des Flusses eine flache türkische Kuppel, die türkischen Bäder, das Rudas fürdő.
Wie hungrig bin ich auf Stadt, auf lebendige Stadt, nach diesem Nisten in einem Kadaver wie Warschau.
«Hier ist es», sagt Dzidzia.
Ich fahre zusammen, sie hat mich erschreckt, ich hatte sie vergessen. Ein Blick in den Rückspiegel.
«Was?», frage ich.
«Das Gellért. Hier. Parken.»
«Sehr hell die ganze Stadt, nicht wahr?», frage ich.
Dzidzia scheint das egal.
Auch das Hotel strahlend erleuchtet, Hochparterre und vier Stockwerke, historisch anmutende Dekorationen, die sich gleichwohl in Pflanzenformen winden und über dem Eingang Kuppeln bilden wie die Köpfchen von Keimen, die durch die Erde stoßen, ausnehmend phallisch in ihrer Gestalt.
Ich steige aus, will Dzidzia die Tür öffnen, da kommt schon ein Junge herbeigelaufen und macht sie ihr auf, ich reiche Dzidzia ihren Pelz, werfe mir dann meinen Mantel über die Schultern, behalte den Gürtel darunter an.
Ein kurzer Blick aufs Gepäck, plötzlich fällt mir das wirkliche Leben wieder ein, und ich weiß: Um das Gepäck wird man sich kümmern.
Ein Portier im Zylinderhut öffnet uns die Eingangstür, im Foyer Marmor und Gold, wie leicht man sich entwöhnt, doch jetzt weiß ich wieder: Das ist dein Element, Konstanty, nicht der Dreck, kaltes Wasser und zugeklebte Fenster.
Ich schwanke leicht, ich bin ein wenig betrunken und unfrisch, doch der Rezeptionist hat hundert Jahre Erfahrung und empfängt mich mit einem Blick von vollendeter Höflichkeit, der geflissentlich übersieht, was zu sehen sich nicht gehört.
«Guten Abend. Haben Sie freie Zimmer? Von Horn mein Name; meine Ehefrau.»
Er mustert mich mit einem Blick, aus dem ich den klaren, geduldigen Vorwurf lese: Wer kommt denn ohne Reservierung in ein Hotel wie dieses? Er hält diesen Blick einen Moment lang, diese Warteschleife ist die Strafe, meine Strafe dafür, dass ich nicht vorgesorgt habe, dass diese Dinge nicht geregelt ablaufen können, wie sie ablaufen sollten.
«Aber natürlich», antwortet er schließlich. Kein Blättern, kein Nachprüfen, keine Anrufe. Schließlich trage ich Uniform, deutsche Offiziersuniform, also habe ich Geld, recht sicher habe ich Geld, zumindest ist es naheliegend anzunehmen, dass ich Geld habe, zumal in Begleitung einer Frau.
Ich sage ihm, dass ich ein Apartment mit zwei getrennten Schlafzimmern wünsche. Aber natürlich; ob man Abendessen im Hotel einzunehmen wünscht? Ich bin hungrig, mordshungrig, der Alkohol im leeren Magen stachelt den Hunger noch an. Aber Dzidzia protestiert.
Also essen wir in der Stadt, wenn sie meint, essen wir in der Stadt, der Boy trägt das Gepäck nach oben, natürlich, ein bisschen Sorgen macht mir das Maschinengewehr im Kofferraum. Wir gehen hoch, ein kleiner Mensch in Livree geleitet uns, das Apartment vorzüglich, im zweiten Stock, ich gebe dem Menschlein einen Dollar, die Fenster gehen auf die Donau und die
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