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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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verletzt ist.
    Sie kommt zu mir, umarmt mich, ihre mageren Arme an meinem Hals und ich weiß: Das ist keine Aufforderung, sie gibt sich mir nicht hin in dieser Umarmung. Und gleichzeitig ist es keine schwesterliche Geste, diese Umarmung verheißt etwas Erotisches.
    «Danke. Du bist großartig», flüstert sie mir ins Ohr und küsst mich auf die Wange. Lässt mich los. Geht in ihr Schlafzimmer, und ich bleibe, und plötzlich dreht sich die Welt, ich spüre, dass ich mich sofort hinlegen muss, kann gerade noch meine Jacke ausziehen, mich aufs Bett werfen, aber ich schlafe nicht ein, sondern tauche ab in Unbewusstes, als würde ich in einem Sumpf versinken. Ich denke weder an Dzidzia noch an meine Mutter noch an meinen Vater.
    Das helle Fensterviereck, der Stuck an der Decke, der Kronleuchter, alles kreist über mir, bis es schließlich zu einem stickigen, schweren Schwarz zusammenfließt.

Kapitel dreizehn
    I ch habe Kopfschmerzen, mir ist übel, ein Magenkrampf, ich müsste sofort auf die Toilette, nur die Aussicht, aufrecht gehen zu müssen, schreckt mich, also bleibe ich mit geschlossenen Augen im Halbschlaf liegen, nichts in meinem Bewusstsein als die Übelkeit und dass mir der Schädel platzen will. Dann fällt mir das Aspirin im Bad ein, ich steige endlich aus dem Bett, schaue auf die Uhr: elf. Ich habe bis elf geschlafen. Ich schlucke dieses Aspirin mit einem Glas Wasser, unter die Dusche. Unter dem heißen Strahl wird es etwas besser. Ich rasiere mich, Zahnbürste und Pulver, ich scheure meine Zähne. Hülle mich in den Bademantel und gehe in den Salon.
    Dzidzia sitzt schon da, bei Kaffee, Weißbrot und Eiern.
    «Guten Morgen», sage ich, schüchtern und unsicher: Unsicher meiner selbst, dessen, was gestern war, unsicher der eigenen und ihrer Erinnerung, dabei weiß ich bei ihrem Anblick sofort: Nein, da war nichts, ich habe sie nicht einmal geküsst, ist das gut oder nicht, ich weiß es nicht.
    «Guten Tag, Konstanty», erwidert sie strahlend, als freute sie sich wirklich bei meinem Anblick. Vielleicht freut sie sich auch. «Iss Frühstück mit mir, bitte.»
    Sie freut sich tatsächlich, mich zu sehen. Sitzt da in einem eleganten, etwas altmodischen Morgenkostüm, bestreicht eine Brotscheibe mit Honig und lächelt mir zu. Tatsächlich? Offenbar, sie freut sich.
    «Guten Tag, Dzidzia.»
    Und plötzlich verstehst du, stimmt’s, Konstanty? Du verstehst.
    Das ist das Ende. Wir werden uns wohl nicht mehr treffen, mein Lieber. Plötzlich verstehst du.
    Sie hat dich verwandelt, du Dummchen. Sie, ihr Geist und ihre Kraft. Sie ist alles, wovon ich nie wollte, dass du es seist. Sie hat dich mir weggenommen. In ihr hast du einen Menschen gesehen. In ihr siehst du jemanden, der über dem steht, was dir menschlich scheint. Sie, die von den Blicken anderer unberührt bleibt. Sie, die sich nicht fürchtet. Sie, die liebt, weil sie lieben will, die begehrt, weil sie begehren will, und nicht, weil sie geliebt und begehrt sein möchte – wie du.
    Nichts verstehe ich. Ich setze mich zum Frühstück.
    «Iss nicht zu viel, zum zweiten Frühstück gehen wir ins Centrál Kávéház. Das ist wie die Ziemiańska, nur größer und schöner und mit besseren Schriftstellern.»
    Ich lächle süffisant. Unsere Schriftsteller habe ich nie gemocht. Ich brauchte ihren Ruhm um mich, so wie den anderer Künstler, aber gemocht habe ich sie nicht. Sie hatten etwas, was ich nicht habe, ich kann nicht genau definieren, was, aber ich spüre oder spürte ihn, den Mangel.
    «Vor allem ist es da», füge ich hinzu.
    «Bitte?»
    «Es ist da. Und das Ziemiańska gibt es nicht mehr. Das heißt, das Lokal schon, ich war kürzlich sogar dort, es hat geöffnet, aber das Ziemiańska gibt es nicht mehr, denn wer geht da jetzt hin und wozu?»
    «Traurig», sinniert Dzidzia.
    «Gar nicht», erwidere ich sofort. «Gar nicht traurig. Mir ist es nicht schade drum. War da, ist weg. Und kommt bestimmt nicht wieder. Na und?»
    Sie nickt. Jemand klopft an der Tür. Ich öffne – der Lakai mit einer Nachricht. Ich nehme das Kärtchen, gebe einen Pengő, schließe die Tür.
    «Bestimmt von Steifer», sagt Dzidzia.
    «Wem sonst», stimme ich zu.
    Ich öffne den Brief, setze mich ans Tischchen.
    «Herr von Horn wird gebeten, am Mittag in die Badeanlagen des Hotels zu kommen. M. S.»
    Ich reiche Dzidzia das Kärtchen.
    «Das wird dir gegen den Kater helfen», lächelt sie.
    Die Welt hat eine andere Tönung. Ich verstehe das nicht, akzeptiere es aber.
    Ich schneide ein

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