Morphin
Ei durch, das Eigelb noch feucht, gebe ein Stückchen Butter und eine Prise Salz darauf, esse, das Ei ist sehr gut. Trinke Kaffee. Dzidzia schweigt, lächelt mich nur an. Ich greife nach den Zeitungen, deutsche, französische und englische, aber ich habe keine Lust zu lesen, was soll man lesen, wenn alles klar ist.
Kaffee.
«Wirst du ihn anrufen?», frage ich plötzlich.
Dzidzia antwortet nicht sofort. Die Frage verletzt sie nicht, sie denkt einfach über die Antwort nach.
«Ich weiß nicht», sagt sie schließlich. «Bestimmt. Oder ein Telegramm schicken.»
«Was wirst du tun, wenn ich mich in den Thermen mit Steifer treffe?», frage ich mit einer Vertraulichkeit, die gestern noch nicht zwischen uns war.
«Ich werde aus dem Fenster schauen, ob er draußen nicht vorbeigeht, und werde weinen», antwortet sie ohne Ironie. «Warst du jemals verliebt, Konstanty, so richtig?»
Ob ich jemals verliebt war, so richtig. Habe ich es denn je geschafft, mich nicht zu verlieben? War es irgendwann einmal richtig? War ich in Iga verliebt? Oder in Hela? Um die zu nehmen, in die ich mich gleichsam unschuldig und rein verliebt habe. War ich in Salomé verliebt? Nein, verliebt war ich in Salomé nie, ich begehrte sie nur, begehrte sie mit dem Leib, nicht mit dem Herzen, das ist etwas anderes. Schön ist das nicht, aber wahr.
Ob ich jemals verliebt war? Das ist wichtig und unwichtig zugleich. Wichtig. Weil es die Substanz des Lebens ausmacht. Daraus besteht es, aus Herzensstürmen und Lendenzuckungen. Und unwichtig, weil das Leben unwichtig ist, überhaupt.
«Ja», antworte ich einfach.
Dzidzia nickt, ja, ja, ja, genau so, was konnte ich schon sagen. So sitzen wir schweigend, und draußen ist Budapest, im Zimmer ist das Leben, normales Leben, normales Essen, normale Heizung, alles normal, und ich freue mich darüber und werde es ohne Bedauern aufgeben, obwohl es mir, wenn ich darüber nachdenke, vorkommt, als sollte ich es bedauern, aber nein.
Schließlich schaut Dzidzia auf die Uhr.
«Geh schon.»
«Wie werde ich ihn erkennen?»
«Er wird dich erkennen.»
«Soll ich mich anziehen oder im Bademantel gehen?», frage ich, noch unsicher.
«Im Bademantel. Das ist hier üblich.»
Ich hülle mich in den weichen Stoff, nehme die Zigaretten mit, fahre im Lift nach unten und gehe in die Bäder, hohe und jugendstilhafte Gewölbe.
Hinter der Garderobentheke steht ein Prachtexemplar von Masseur, ein gargantuesker Dickwanst mit den hängenden Augen eines Bassets und Mundwinkeln, herabgezogen von der Schwerkraft wie von stiller Verachtung für Leute wie mich: Was sprichst du mich hier auf Deutsch an, du ausländischer Affe, wie kommst du auf diese Idee? Was hat dich hierher verschlagen, du unechter Mensch, kommst in deinem Hotelbademantel und mit der dümmlichen Visage eines selbstzufriedenen Kretins, was? Und ich Idiot lächle, wie man Verkäuferinnen anlächelt, plappere blöde von Handtüchern und dem Mantel, und dieser großartige Zweihundertkilomann, glatzköpfig und überall sonst behaart, guckt mich an, sein Handtuch reicht ihm bis unter den großen Bauch, nasse Locken, die schweren Wangen ziehen seine Lider nach unten, er guckt mich an mit fetter Geduld und wartet gleichgültig, bis ich fertig bin, dann reicht er mir einen dicken Stapel Handtücher und sagt sehr verächtlich etwas. Ich frage mich, was er zu mir sagen könnte, ich weiß ja, dass er recht hat, wozu bin ich hier, sind diese Bäder etwa für mich, bilde ich mir ein, mir für meine Pengő das Recht aufs Hiersein kaufen zu können, wie ich es mir mit einer Eintrittskarte erkaufe? Eintreten kann ich, bitte, herein mit mir, aber hier sein? Sein – kommt gar nicht in Frage. Ich weiß, dass er recht hat; ich stimme ihm zu, teile seine Abneigung gegen solche wie mich, würde mich gern dafür entschuldigen, dass ich überhaupt gekommen bin, wenn ich das nur könnte. Also gehe ich gehorsam weiter, folge den Weisungen der mürrischen, fürsorglichen Bademeister, ziehe mich aus, wenn sie es sagen, ganz nackt, wenn sie es wollen, betrete das Becken mit dem kühleren Wasser, dann das mit dem warmen Wasser und warte, warte, bis Marian Steifer, der mich finden soll, mich findet.
Ich liege also in Wasser, das Körpertemperatur hat, dann ins Dampfbad, dann wieder in sechsunddreißig Grad eintauchen, dann wieder Dampf, dann eine Wanne mit kochend heißem Wasser, in der ich eine Zigarette rauche, bis mir schwindlig wird.
Ich warte nicht mehr, soll er kommen, wann er will. Ich
Weitere Kostenlose Bücher