Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
Vom Netzwerk:
verschwunden wäre auf dem Weg zu irgendwelchen freiwilligen Arbeiten, was würde ich dann tun? Jacek tat seit zwei Wochen nichts anderes, als sich um Verwundete zu kümmern, und ich, was würde ich tun?
    «Du bist mit deinen Gedanken woanders, Kostuś», sagt Jarosław.
    «Ja. Entschuldige. Ich sollte sie suchen, aber ich weiß nicht, wie.»
    Und wir schweigen erneut.
    «Ich habe mir Sorgen gemacht, ich wusste nicht, ob du den Krieg überlebt hast. Wir haben uns fast zwei Monate nicht gesehen», sagt Jarosław.
    So ein Freundschaftsgeständnis, und ich zucke nur mit den Schultern, aber nicht geringschätzig, sondern dankbar, eher als Zeichen, dass die Sorgen überflüssig waren.
    «Und was diese Rostańska angeht. Wenn sie sich zwei Wochen lang nicht gemeldet hat, bin ich nicht sehr zuversichtlich. Aber man darf natürlich die Hoffnung nicht aufgeben.»
    «Aber du fragst herum, Jarosław, ja? Sagst, dass wir nach ihr suchen? Iga Rostańska. Ihr Mann wartet.»
    Er sieht mich an mit seinen Fischaugen, versteht oder versteht nicht, und ich weiß schon: Ich muss raus, bevor er antwortet, seine Antwort könnte alles vernichten, deshalb rufe ich danke, vielen Dank, sehr verpflichtet!, verabschiede mich eilig und laufe aus dem Lours, ich habe Iga nicht vernachlässigt, habe an Iga gedacht, die doppelt mit mir verbundene Iga, Frau meines Freundes und meine frühere Geliebte. Wie sollte ich sie sonst suchen? Die Steine in den Ruinen umdrehen?
    Jetzt zur Łubieńska mit dem Paket, die Pflicht erfüllen.
    Und im Herzen, was trage ich in meinem Herzen? Spielt die Trompete zum Marsch und Angriff, die Trompete der Pflicht?
    In meinem Herzen spielt keine Trompete. In meinem Herzen ist nur ein Sehnen, ein Begehren. Im Herzen, vor allem aber im Bauch, der sich jetzt mit Übelkeitswellen bemerkbar macht. Und im Kreuz, das reißt. In den wie mit der Tischlerzwinge zusammengepressten Schläfen.
    Warum also soll ich mich betrügen? Warum sollte ich mit diesem verfluchten Paket in die Wohnung von Frau Łubieńska in der 6 .-August-Straße gehen, wenn ich zuerst nach Powiśle gehen kann, in die Dobra, in die gute Straße, das ist viel näher, dort steht ein hässliches altes Mietshaus, dort wohnt Sala, die mich heute mehr lieben wird, weil ich ihr gestern eins gegeben habe, deshalb werde ich heute ein richtiger Mann für sie sein, anders als für Hela, die ich nie geschlagen habe, sie wäre sonst sofort ausgezogen, und der alte Peszkowski hätte mich noch am selben Tag erschossen. Obwohl, er hat seine Waffe bei den Deutschen abgeliefert, jetzt würde er mich wohl mit dem Krückstock totschlagen.
    Ich könnte also zum Erlöserplatz gehen, doch ich kann auch zuerst in die Dobra gehen, wo Salomé auf mich wartet, sehnsuchtsvoll. Und wenn ich ihr sage: Geh! – dann wird sie gehen, ich gebe ihr Geld, und sie wird auf die schmutzigen Höfe gehen und mit Fläschchen oder Pulver zurückkommen. Geld habe ich ja bei mir, dreihundert Złoty, wie viel Glück kann man für so viel Geld kaufen! Das Paket bringe ich später.
    In die Dobra!
    Da geht er: so kläglich! Geht in der Hoffnung, etwas würde passieren, etwas, durch das er ein anderer würde, das sein Leben ändern könnte, überhaupt irgendetwas, ganz egal was. Dabei wird sich nichts ereignen, also gehe ich ihm nach.
    Der mir nachgeht, ist nah, ganz nah.
    Ich gehe, wir gehen, er geht. Nah, nah. Die Karowastraße geht es in Schneckenwindungen den Hügel hinab.
    Und schon kommt die gute Straße, die räudigen Mietshäuser, die räudige Gesellschaft.
    Und die Treppe, und er steigt sie empor, und schon die Tür, von der die Farbe abblättert. Er klopft.
    Ich klopfe. Klopfe.
    Er klingelt nicht. Ich klingle nicht.
    Die Tür geht einen Spalt weit auf, die Kette spannt sich, dahinter das glotzende, gemeine Gesicht von Salomé und ihre Kupferlocken. Über den Schultern ein Hauskleid aus Seide, darunter ist sie nackt, der glänzende Stoff fließt über ihre Brust, rotes Haar im Schritt. Ich sehe sofort, dass sie betrunken ist, denn ihr Gesicht ist unscharf, schlaff und die Züge verwaschen, die Augen blitzen. Ich mag, wenn sie betrunken ist. Sogar durch die Tür rieche ich, dass sie nach Alkohol stinkt. Aber sie stinkt auch nach Mann. Sie taxiert mich, als würde sie mich nicht erkennen, sieht mich an, schnurrt schließlich, unsicher auf den Beinen und mit entgleitendem Blick: «Kostek, paschol won …»
    «Lass mich rein, du Hurenstück», rufe ich und drücke gegen die Tür. Die Kette hängt an

Weitere Kostenlose Bücher