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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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die Klinke. Abgeschlossen.
    Der dicke Tumanowicz hat meine Stimme gar nicht richtig gehört, denke ich, jedenfalls käme er bestimmt nicht darauf, dass ich Deutsch wie ein geborener Wiener rede. Salomé konnte ihm das nicht sagen, Salomé weiß das gar nicht, sie hat mich nie Deutsch reden hören.
    Dreimal hat das schon funktioniert, vielleicht funktioniert es auch ein viertes Mal. Kein Guckloch in der Tür, gut so.
    Ich nehme die Damenpistole in die linke Hand, taste mit der rechten nach dem Schlagring in der Jackentasche, stecke die Finger hinein. Ich hoffe, es geht ohne Schießen.
    Aber vielleicht doch nicht? Lieber das Schicksal nicht in Versuchung führen, weder öffentliche noch geheime Polizei spielen, sondern ihn im Bett überraschen, ihm in die Fresse knallen …
    Die Tür wirkt nicht stabil, ich beschließe, sie einzutreten. Ein mickriges Schloss in Höhe der Türklinke.
    Du musst schnell sein, Kostuś. Musst sehr schnell sein. Du willst nicht schießen. Mit der Pistole schießen, nachts, mitten in Warschau, das ist keine gute Idee. Schieß nicht, Kostuś, hör auf deine einzige Freundin, denk daran, nicht abzudrücken. Die Pistole soll nur zur Einschüchterung dienen.
    Ich muss sehr schnell sein. Wie im Blitzkrieg. Sonst gelingt es nicht.
    Ich trete einen Schritt zurück.
    Man hat schließlich schon mehr als eine Tür im Leben eingetreten.
    Man begann damit, als man erkannt hat, dass das Leben des Gentlemans nicht das wahre Leben ist, als man anfing, mit den Apachen vom Kercelak rumzuhängen, billigen Fusel in den jüdischen Kneipen in der Nalewki zu trinken und sich auf der Straße mit den Radikalnationalen aus gutem Hause zu prügeln, Arm in Arm mit den Jungs aus der Miła, der Dobra, irgendwie auch dem nationaldemokratischen Schwiegervater zum Trotz, der selbst das Schwert des Chrobry am Jackenaufschlag trug. Dabei interessierte man sich überhaupt nicht für Politik, der Sozialismus war einem so scheißegal wie alles andere, man begeisterte sich einfach für dieses sozialistische Gangstermilieu, das Schwere in den Taschen: Schlagring, Messer, Browning …
    Ich prügelte mich gern mit den Nationaldemokraten, trank gern mit jüdischen Dieben und spielte Karten mit ihnen, ging mit polnischen Apachen zu den Nutten und zum Tango, sogar arbeiten, obwohl sie mich höchstens als Fahrer nahmen, mich oder besser gesagt meinen Opel, den brauchten sie mehr als mich.
    Türen hat man schon eingetreten, nicht nur einem Radikalnationalen die Zähne ausgeschlagen auf seiner Studentenbude, bevor der Fischficker aus dem Bett kam. So war das.
    Ich weiß, wie ich treten muss, um reinzukommen.
    Warum stehe ich dann immer noch rum?
    Warum trete ich nicht mit voller Kraft gegen das Schloss, es springt bestimmt auf, die Tür ist dünn und mickrig …
    Du musst, Kostek. Du musst, Kostuś, mein Lieber, musst, du hast keine andere Wahl, fürchte dich nicht. Ich werde hier mit dir stehen, keine Angst. Ich werde dich beschützen.
    Ich trete. Die Tür fliegt auf. Ganz leicht. Stürze in die Wohnung. Dunkel, aber die Augen gewöhnen sich. Flur, Mantel am Haken. Küche. Im Zimmer springt wer vom Bett auf. Ich sehe ihn schon. Der Dicke. Das ist er.
    Er tastet nach seiner Brille.
    «Stehen bleiben, oder ich schieße!», rufe ich.
    «Schweinehund!»
    Er sucht die Brille nicht mehr, stürzt auf mich zu.
    Ich schieße, in den Bauch. Treffe in die Seite, aber das hält ihn nicht auf, Kaliber sechs ist schwach, der Dickwanst groß. Ich schieße ein zweites Mal, fast blindlings, auf das weiße Unterhemd, getroffen, er brüllt, stürzt hin.
    «Keine Bewegung!», sage ich.
    Er stöhnt, versucht sich aufzusetzen, ich trete ihm mit Schwung an den Kopf, als würde ich einen Fußball kicken. Ein Knuspern von Knochen, er fällt zur Seite, halb auf den Rücken. Sagt nichts mehr.
    Verflucht, was fange ich mit einem Toten an!
    Näher an ihn heranzutreten, traue ich mich auch nicht. Wenn der mich in seine Riesenpranken bekommt, zerquetscht er mich, sogar verwundet … Am Waschbecken steht ein Wasserkrug, ich kippe es ihm ins Gesicht. Er reißt die Augen auf.
    «Die Aktentasche hast du mir gestohlen, du Schwein!»
    «Fick deine Mutter ins Ohr», zischt er durch die blutigen Lippen.
    «Wo ist meine Tasche, du Hurenbock?» Ich stehe mit der Pistole über ihm. «Sags mir, wenn du noch was von deinem Leben haben willst.»
    «Ich schneid dir den Schwanz ab und serviere ihn deiner Frau zum Essen», antwortet er.
    Ich bin plötzlich ratlos. Da liegt er,

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