Morphin
Rückkehr, in einem tschechischen Zug, das Gold in die Kleidung eingenäht, Wilna, Welt des Messers und der Maschine – der Nagant; Welt der Legehenne, der Grenze und des Kokains, der Offiziere ausländischer Geheimdienste und der Schmuggler; plötzliche Reichtümer und Kajetans hartes Herz, noch härter die Faust, die Liebe zu einer jüdischen Hure und alles, was zu einer Abenteurerbiographie in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts in Mittelosteuropa gehören mag, all das leuchtet auf in diesem Geheul, ein Bild wie auf Rauch geworfen. Auch die Gründe werden sichtbar, aus denen Kajetan Tumanowicz mit einem deutschen Offizier in der Wohnung in der Dobra gesessen hat, seine Beziehung zu diesem Offizier mit den wässrigen Augen und seine Beziehung zu der schönen Hure aus Powiśle werden sichtbar, aber nur für mich, nicht für Konstanty.
Konstanty ist jetzt ein Mensch und will sein Ziel erreichen.
Und Kajetan Tumanowicz heult, als Konstanty ihm mit dem Taschenmesser mit dem perlweißen Heft das Auge herausnimmt. Heult weiter, als das Auge schon herausgenommen ist. Und so endet sein Leben, dabei hätte er Konstantys Platz in meinem Herzen einnehmen, unter meiner Obhut, ich hätte ihn mit Liebe nähren können, aber jetzt sitzt Konstanty breitbeinig auf ihm, nicht umgekehrt. Es gebrach ihm an Menschlichkeit. Vielleicht hat er im Leben genug Leichen gesehen und wollte nicht noch eine anschauen, hat auf die schöne Hure aus der Dobra gehört, die schöne Hure aus Powiśle, hat dem Kindskopf das Leben geschenkt.
«Willst du auch das andere loswerden?», fragt jetzt kein Kindskopf mehr, sondern Konstanty, breitbeinig auf ihm hockend.
Was hast du berührt, Kostek, als du ihm das Auge herausnahmst? Und hast du es berührt, du, wer oder was du in Wirklichkeit auch bist, oder im Gegenteil, hast du dich weit von dir selbst entfernt? Vielleicht hast du das Menschliche berührt, was du nicht zugeben wirst, denn obwohl du dich für einen Zyniker hältst, könntest du diese einfache Wahrheit über den Menschen nicht akzeptieren, diese einfache Wahrheit widert dich an, Kostek. Wenn du lange genug leben würdest, würde dich der Mensch auf den Fotos von Auschwitz ekeln, nicht? Doch du wirst das nicht erleben.
Ekeln würdest du dich vor den Piloten, die aus ihren schwarzen Bombern steigen und nicht wissen, was sie getan haben, aber ob der Mensch weiß oder nicht weiß, ist bedeutungslos. Ekeln würdest du dich vor dem sowjetischen Soldaten im Kittel, der die verlorenen dummen Polenschädel durchschießt, würdest dich ekeln beim Anblick der Speckgrieben, die von den Kindern blieben nach der Bombardierung Dresdens, aber das wirst du nicht erleben.
Ich frage.
Ich.
«Wo ist meine Aktentasche?», wiederhole ich die Frage.
Kajetan Tumanowicz antwortet.
«Und das Paket aus der Tasche?»
Er antwortet wieder.
Und ich hinterlasse mit der Feuerfaust ein kugelrundes Kussmal auf seiner Stirn.
Will sagen, ich schieße ihm mit der Browning in den Kopf, nach zwei Schüssen kann ein dritter nicht schaden. Meine Hand glüht, sie hat Feuer gespien und glüht. Ich schaue sie mir an: Nein, sie glüht nicht. Ich habe getan, was ich getan habe.
Und fluche sofort: Wenn er mich nun angelogen hat? Idiot, du Idiot! Ich laufe, sehe nach, Eile ist angebracht. Die Damenpistole macht weniger Lärm als eine große, aber ein Schuss bleibt ein Schuss.
Ich laufe in das Zimmer, in dem er geschlafen hat. Greife unter das Bett. Es ist da, ist da!
Weiter, hinter den Herd! Es ist da!
Das Paket, das ich der Łubieńska bringen sollte. Das Papier und die Schnüre zerschnitten. Darin Pässe. Republik Polen. Ich ziehe einen heraus: Leerer Vordruck. Also kein Geld.
Kajetan Tumanowicz tot. Eine Blutlache auf dem Fußboden, im Gesicht ein Auge und das kleine rote Loch in der Stirn, wie ein Tilaka.
Ein Tilaka?
Die Arier haben nach der Unterwerfung Indiens, auch wenn sie rassisch degeneriert waren, doch den reinen Geist unserer Urkultur bewahrt, verstehst du, Kostek?
Warum höre ich gerade jetzt ihre Stimme? Mama?
Ich schüttle sie und ihre Arier ab, ihr Indien, ihre Kshatriya-Kaste und ihre mythische Heimat. Ich kehrte zurück in die Lesznostraße, in das Leben.
Wenn ich das Paket verloren hätte, hätte man mir also keinen Diebstahl vorgeworfen. Oder doch? Schließlich hätte ich die Pässe gegen Morphin eintauschen können …
Nein, nein, nein. Spuck diesen Gedanken aus, Kostek!
Aber fragen werden sie: Warum ist das Paket aufgerissen? Dann
Weitere Kostenlose Bücher