Morphin
gelandet ist und Kaffee mit Cognac trinkt oder einen Schnaps, und seine Hände erzählen im indischen Tanz den Kameraden Kriegsgeschichten: Im Steilflug so, rattattatat so, eine Hand jagt die andere, er mich so, ich über den Flügel aus dem Daumen so, rattattatat. Dass er auf Frauen bei der Feldarbeit geschossen hat, erzählt er lieber nicht. Wusste er, auf wen er schießt?
Er wusste es. Oder vielleicht auch nicht.
Und jetzt musst du, Kostuś, so sein wie dieser deutsche Pilot, der genau wusste, worauf er schießt. Oder so wie der englische Wächter im KZ für die Buren.
Oder du musst sein, wie in vier Jahren der vieläugige Marshall Harris sein wird, der Marshall mit den vielen Körpern, verkrochen wie ein Einsiedlerkrebs in den Stoffhüllen der Flugzeuge, der Marshall, der Dresden bombardierte, Tausende seiner englischen, polnischen, kanadischen Augen, Augen jeglicher Herkunft in den Bombenzielvorrichtungen, Tausende seiner Finger auf den Abzügen, Tausende Bomben aus den Bombenkammern geschissen, flammende Mauern, Straßen und ein brennender Fluss.
Oder wie der deutsche KZ -Wächter, den es noch nicht gibt – doch SS -Oberführer Arpad Wigand steht gerade in diesem Augenblick schon an der Weichsel, irgendwo oberhalb Soła, und überlegt, dass hier ein guter Ort wäre. Hier wäre es schön, klug, wirtschaftlich und logistisch geeignet.
Oder wie der, der schwarze Schlammklumpen auf japanische Papierstädte abwirft. Oder der, der zum Wettkampf antritt: Wer schlägt in derselben Zeit mehr Köpfe von einer Reihe kniender Chinesen ab?
Oder wie Julius Cäsar und seine toten Gallier, seine, denn ihr Tod und ihre toten Leiber gehören ihm so, wie der aufgeblasene Frosch dem Jungen gehört, der ihn aufgeblasen hat, er ist sein, wie er da bizarr auf der Oberfläche des Teiches treibt.
Wie die Mutter, die ihr eigenes Kind tötet: es mit der Decke erstickt, Kostek, oder den nackten Säugling im Wald zurücklässt wie die Löwin das Löwenjunge, damit der neue Löwe es frisst, vor tausend und fünftausend Jahren und gestern und vorgestern und in tausend Jahren. Weinend oder mit stählernem Angesicht. Einem Gesicht wie dem Gemetzel von Prag. Wie die Lisowczyk-Reiter, die die Gegend nach der Schlacht von Humienne verwüsteten und Männer, Frauen, Kinder und Hunde töteten. Besonders die Hunde.
Du hättest die Schneiden ihrer Säbel sehen sollen, die am Handgelenk pendelten, gegen die Knie und die Pferdeflanken schlagend, du hättest sehen sollen, Kostek, wie sie im Trab das Terzerol laden, wie die Entfernung zwischen den beschlagenen Hufen und den bloßen Füßen derer vor ihnen schrumpft, der Fliehenden, endlich hat er sie erreicht, die Pistole wandert ins Halfter, der Säbel springt aus dem Gehenk in die Hand, und angetrocknetes Blut taucht ein in frisches Frauenblut.
Du musst sein wie menschliche Zähne und Klauen, wie eine Menschenwaffe, wie Schwert, Wurfspieß, Gewehr und Bombe, denn genau das ist der Mensch.
Du musst menschlich sein, Kostek. Hör auf mich, hör auf deine einzige Freundin und fürchte dein Menschsein nicht, Kostek.
Der speckige Körper liegt auf dem Boden wie ein Blauwal am Strand, ebenso still und gleichgültig, hat keine Angst vor dir, weiß nicht, wozu du fähig bist, also zeig ihm, wozu ein zu allem entschlossener Deutscher fähig ist. Seit jetzt ein Deutscher, Konstanty. Sei ein Mensch.
Konstanty Willemann kniet über Kajetan Tumanowicz.
Beugt sich über ihn, Eisenfaust, Feuerfaust.
Du bist ein Mensch, Kostek. Sei Mensch.
Kajetan Tumanowicz heult. Lange dauert dieses Heulen. Konstantys Gesicht stählern wie die Gesichter der Mütter, die ihre nackten Säuglinge im Wald aussetzen. Im slawischen Wald. Im keltischen Wald. Im germanischen, illyrischen, thrakischen, hellenischen, römischen Wald. Ich sehe diese Gesichter, Kostek sieht sie nicht, aber ich.
In Kajetan Tumanowiczs Geheul leuchtet für mich sein Leben auf, wie ein Kinobild, auf den Rauch einer lodernden Stadt geworfen.
Das polnische und armenische Haus in Lemberg leuchtet für mich auf, das Haus, das Tumanowicz verlassen hat, weil ihm als Vierzehnjährigem klar wurde, wie sehr er das Kleinbürgertum hasst.
Russland leuchtet auf, das große, schöne, wunderbare Russland, voller Reichtümer, nach denen man sich nur zu bücken braucht, Russland, Land der Möglichkeiten, ein Amerika für solche wie Tumanowicz, Irkutsk, Wladiwostok wie Städte, die aus der amerikanischen Prärie emporwachsen.
Dann die Revolution, er flieht, also
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