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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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das klingen.
    Er wird nachdenklich. Mustert mich mit Augen, in denen ich plötzlich etwas mehr sehe als den aufgeblasenen Draufgänger, der er bisher schien.
    Ja, Kostek, das hast du gesehen und warst erschrocken von der Scharfsichtigkeit dieser Augen. Du würdest dich gern verstecken vor diesen scharfsichtigen Augen, die blicken wie die Augen deiner Mutter.
    Er hält diesen Blick aus, sieht scharf zurück. Dann plötzlich zerplatzt die Nachdenklichkeit, so unvermittelt, wie sie gekommen ist – platzt wie eine Blase und verschwindet.
    «Recht haben Sie! Kein Eid, gar nichts, gut haben Sie das gemacht», stößt er plötzlich aus und lächelt breit.
    Dann mustert er mich wieder, überrascht, als hätte er eben gerade etwas bemerkt.
    «Und das Gesicht, wie haben Sie sich so übel zugerichtet?»
    Glaub ihm nicht, Kostek, glaub nicht, dass ihm das eben erst aufgefallen ist. Er muss es sofort bemerkt haben, aber er fragt nicht ohne Grund erst jetzt danach. Ein Schauspieler.
    Ich zucke mit den Schultern. Er akzeptiert das als Antwort.
    «Dann geh ich mal», sage ich.
    «Ausgeschlossen, setzen Sie sich, wir haben so viel zu besprechen!»
    Ich setze mich gehorsam. Weshalb setze ich mich wieder hin, obwohl ich schon gehen will, zu meiner Hela, den Kopf auf ihre Knie legen, ich, der das Paket in die Wohnung von Frau Łubieńska gebracht hat, die überhaupt nicht hier war, ich, meiner Hela würdig, um mir von ihr den Kopf streicheln zu lassen und alles zu vergessen.
    Weshalb also setze ich mich?
    Weil Witkowskis Stimme wie die Stimme deiner Mutter klingt, lieber Kostek, so einer Stimme kannst du dich nicht widersetzen, das weißt du so gut wie ich. Mein Lieber.
    Der Ingenieur nimmt eine Flasche Wodka, zwei Gläser, gießt ein, wir stoßen an, ex und hopp, widerlich und warm, er gießt erneut ein, stellt seins auf den Tisch. Er bleibt stehen.
    Und beginnt zu sprechen, die ganze Zeit auf und ab gehend. Die linke Hand umfasst das Gelenk der rechten. Die Finger der rechten Hand im unablässigen Tanz, Zeige-, Mittel-, Ring- und kleiner Finger berühren die Daumenkuppe, bis zum Zeigefinger und zurück. Gemächlich, im Rhythmus der Sätze.
    Zuallererst spricht er von sich selbst.
    Er ist Ingenieur. Kennt Mościcki, hat ihm mal eine Erfindung präsentiert. Hat in der Schweiz gearbeitet. Ist nach Polen zurückgekehrt. Hat eine Firma gegründet. Hat einen Motor erfunden, der sich für jeden beliebigen Treibstoff eignet. Na ja, fast erfunden, es gab einen Prototyp, noch nicht ausgereift.
    Er spricht schamlos von sich, nein, eher so, als kenne er überhaupt keine Scham, keine Spur jener ungeschickten, immer nur gespielten Bescheidenheit, mit der Angeber von sich reden, ihre Verdienste gering zeichnen und den Zuhörer zwingen, deren Bedeutung erst recht zu preisen. Der Ingenieur redet, als referierte er den Lebenslauf eines anderen: konkret, dieses Projekt missglückte, jenes dagegen war ausgesprochen erfolgreich, die Präsentation bei Mościcki eine Katastrophe, die Firma dann lief besser.
    Er kennt Sikorski gut. Und Paderewski, außerdem Morges in der Schweiz. Beziehungen zur Zwei. «Sie verstehen, oder, die Zwei?»
    Ich verstehe, habe schließlich Zeitung gelesen. Die Zwei, der militärische Geheimdienst.
    Angeblich ist den Deutschen deren gesamtes Archiv in die Hände gefallen. Dann die Verteidigung Warschaus.
    «Ich habe gekämpft», sagt er. Mir kommt das immer noch schwer über die Lippen. Denn habe ich gekämpft? Ich habe irgendwelche Befehle gebrüllt, die man aus Grudziądz noch in Erinnerung hatte, habe mit der Parabellum gefuchtelt, wir sind auf Sieraków vorgedrungen oder wie dieses Nest hieß, auf jeden Fall ist dort Rittmeister Poborowski gefallen, mein Kommandeur. Bei Grabina lag Ksyk hinter dem Schild des Bofors, der schwarze Schnurrbart am Gummiring des Okulars, Ellbogen auf dem Reifen, zielte, schoss und zerdepperte einen Panzer, und ich, was tat ich?
    Und du, Kostek, warst kein Feigling. Niemand kann dir dieses Wort ins Gesicht sagen. Du hast dich nicht töten lassen, die Ulanen des dritten Zuges der vierten Schwadron des Neunten Regiments haben dich respektiert, so weit ein Ulan einen dreißigjährigen Reserveleutnant respektieren kann.
    Sie haben auf mich geschossen, ich duckte den Kopf auf die Erde, aber mit meiner Pistole habe ich kein einziges Mal geschossen.
    Das war nicht nötig.
    «Und Sie haben im Neunten Ulanenregiment gekämpft, ja?», unterbricht Witkowski plötzlich seinen Vortrag.
    Als könne er meine

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