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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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von einem Bauchredner, nicht von menschlichen Lippen gesprochen: «Die Losung, Mensch …»
    Ja, jetzt fällt es mir ein, natürlich. Konspiration. Losung. Die Parole. Wie war die Losung?
    Mir steckt der Kopf voller Gewalt. Habe Salomé geohrfeigt. Tumanowicz gefoltert. Auf mich wurde geschossen. Die Losung. Die Losung. Ich bin ein Drache. Die geistige Form unserer Urkultur hat sich am reinsten in den altindischen Epen erhalten. Schweig, Mutter.
    Die Dunkelheit schweigt.
    Herr Kazimierz, Kostek. Herr Kazimierz. Verstehst du?
    «Ist Herr Kazimierz zu Hause?», frage ich.
    «Aber sicher, ja, bitte.»
    Die Dunkelheit schwindet, Licht geht an. Auf die Einladung trete ich ein.
    Die Augen gehören einem Mann mittleren Alters, etwas älter als ich. Große Nase, schlaffe Wangen, verschlafene, und dennoch wundersam bezaubernde Augen. Im Pyjama.
    «Ah, Sie sind es …», sagt er. «Bitte nehmen Sie Platz und gestatten Sie, dass ich mich umziehe.»
    Er verschwindet. Ich mache es mir im Sessel bequem. Ich kenne den Menschen nicht, aber er mich offensichtlich gut. Hatte gewusst, dass ich kommen würde. Was nicht verwunderlich ist und doch etwas unheimlich.
    Lange sitze ich allein. Ich höre aus dem Nebenraum Geräusche der morgendlichen Toilette: Zähneputzen, Wasserplatschen, Pfeifen beim Rasieren. Wangenklatschen mit Kölnischwasser.
    Schließlich kommt er zurück ins Wohnzimmer. Zurechtgemacht: schwarze Lederjacke, Breeches, hohe Stiefel. Seltsam. Ich erhebe mich. Er streckt mir die Hand hin. Die Haut matt und trocken vom Kölnischwasser mit Lavendelduft. Sehr sorgfältig rasiert.
    «Witkowski mein Name.»
    Ich drücke seine weiche Rechte, und bevor ich noch antworten kann, beginnt Witkowski zu sprechen.
    «Ich nenne Ihnen meinen richtigen Namen. Gegen alle Regeln der Konspiration. Sie brauchen sich nicht vorzustellen, ich weiß alles. Man nennt mich hier den Ingenieur, so werden auch Sie mich ansprechen. Meinen wahren Namen verrate ich Ihnen, damit Sie Vertrauen zu mir gewinnen. Jedenfalls, das sage ich Ihnen – wir kämpfen gegen die Deutschen, wir kämpfen gegen die Sowjets, wir lassen uns von niemandem unterkriegen!»
    «Ach so», sage ich säuerlich.
    «Ja, ja, lieber Herr Willemann», sagt er, federnd im Zimmer auf und ab gehend, die Hände hinter dem Rücken gefaltet.
    Wie gut ich diesen federnden Schritt, diese rücklings gefalteten Hände kenne! Irgendjemand ist mal auf die Idee gekommen, ein forscher Offizier müsse so und nicht anders auf und ab gehen. Bestimmt ein Engländer, die neigen am ehesten dazu, mit solchen Vorbildern ganz Europa zu verseuchen. Genau wie sie es mit der Idee vom Gentleman, dem Golfspiel und dem englischen Phlegma oder mit Tweedjacken (ich habe auch eine) getan haben.
    Und was sich der Engländer ausdenkt, das kopieren in dussliger Verehrung die Deutschen – ein Völkchen, so blind vernarrt ins Englische, dass man die Deutschen allesamt zur Belohnung per Sonderedikt der ja selber ursprünglich deutschen Könige von England zu Ehren-Engländern ernennen könnte. Und den Deutschen haben es die Polen abgeguckt, das Englische, das ich ja selbst kopiere: Tweedjacken, Tennis, Automobilsport und Dandytum. Und Fußball.
    Wenn ich es im Spiegel sehe – glattrasierte Wangen, Pomade im Haar – dann stößt es mich nicht ab. Aber dieser forsche Schritt … Jeder Offizier in meinem Regiment ging so forsch, besonders Ksyk. Ksyk konnte mit diesem energisch federnden Schritt auf den Abort marschieren und unter deutsches Feuer laufen, das weiß ich bis heute.
    Und er geht genauso, dieser Witkowski, dabei sehe ich ihm an: Falls er überhaupt Offizier ist, dann höchsten der Reserve, so wie ich. Zivilist, mit einem Wort.
    «Wir kämpfen gegen die Deutschen und gegen die Sowjets», wiederholt Witkowski. «Wir sind dabei, einen Geheimdienst zu aufzubauen. Wir werden unseren Verbündeten Informationen aus Feindesland übermitteln.»
    «Ich habe das Paket für Sie», sage ich.
    «Ach ja, stimmt, ganz vergessen, geben Sie her!»
    Ich greife nach der Tasche und reiche es ihm.
    «Aufgemacht?»
    «Herr Witkowski. Ich weiß, das verstößt gegen alle zivilisierten Manieren, aber es ist Krieg. Ich musste wissen, was ich da transportiere. Für Vertrauen ist es noch zu früh, woher soll ich wissen, dass das keine Falle ist?»
    Die Worte kommen von selbst.
    Nicht von selbst, Kostek.
    Die Worte kommen von selbst, ich habe sie einfach gesagt und weiß, dass es gut und treffend ist, genau darum geht es, so sollte

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