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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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Herr Gefreite ist tot.
    «Sie Dreckskerl», hat mir eine Dame mit empörter, zitternder Stimme zugeflüstert, sie wirkte schon ein wenig runtergekommen, der Mantel mit Pelzkragen aus billigem Nutria. Aus ihrem verhärmten Gesicht schloss ich, dass ihr auch der Kragen nicht mehr lange bleiben wird. Ich lächelte sie breit an, damit sie kapiert, dass sie, wenn ich mir nur ein bisschen Mühe gäbe, bis zum Abend mein wäre. Wenn ich meinen Charme mit dem Versprechen eines üppigen Abendessens verbinden würde, sowieso. Könnte ich mir leisten, auch jetzt noch, sie nicht unbedingt.
    Doch ich ging weiter und stehe jetzt vor dem hundertjährigen Mietshaus in der Dobra, Ecke Radna, stehe vor dem Haus, äußerlich ansprechend dekoriert, im Innern dagegen Decken, Treppen und Geländer aus moderndem Holz, ein weiß verputztes Mietshaus, im Innern durchlöchert von Holzwürmern, Menschenwurmlöcher die Flure in der muffigen Luft, gleichwohl steige ich die morsche Treppe hoch in den zweiten Stock und stehe vor der Tür. Ich klopfe und zerdrücke ein paar Krümel abblätternder Farbe.
    Ich klingle nie, elektrische Klingeln widern mich an, sie sind gut für die Feuerwehr oder Flugalarm, nicht für einen kultivierten Menschen, der zu Besuch kommt. Zu Besuch bei seiner Geliebten.
    Als ich geklopft habe, hundert Fragen: Wohnt sie denn noch hier? Bei Gott, lebt sie überhaupt noch? Wir haben uns im August gesehen, zwei Monate, das ist lange her. Sie könnte tot sein. Und wenn sie lebt, wohnt sie dann noch hier? Und wenn ja, ist sie zu Hause? Und wenn sie da ist, ist sie allein? Und selbst wenn, erwartet sie dann vielleicht jemanden?
    Stille.
    Und wenn sie durch den Spion guckt – sie bringt das fertig, so leise, dass ich nichts höre –, wenn sie mich sieht und nicht öffnen will? Ich klopfe noch einmal, und beim zweiten Schlag geht die Tür einen Spalt auf.
    «Kostia, du bist gekommen …», flüstert sie.
    Begehren, Versprechen, Freude liegen in diesem Flüstern, wie immer, wenn ich zu ihr komme. Aber es ist noch etwas mehr, und das ist Liebe.
    Leider. Zum ersten Mal Liebe. So wenig war dazu nötig: zwei Monate Trennung und Hitlers Idee, Polen zu überfallen, unsere Niederlage innerhalb von zwei Wochen, so wenig – schon hat Sala mich liebgewonnen. Wie sie die Worte mit tiefer Stimme hinhaucht, ja, das ist Liebe. Eine überflüssige Liebe. Doch jetzt habe ich weder die Kraft noch die Zeit, mich diesem überflüssigen Gefühl zu widmen, es zu ersticken. Jetzt brauche ich nur Trost.
    «Sala», flüstere ich. Sie lässt mich ein. So oft habe ich diese Tür zugeschlagen, so oft hat sie mich aus der Wohnung geworfen, so oft hatte ich um Einlass gewinselt, während irgendein Freier bei ihr saß, dem ich dann, armer Kerl, mit dem Schlagring die Fresse polierte und ihn die Treppe hinunterwarf, nur weil er den gleichen Geschmack hatte wie ich und in Salas großen Augen versank, den Augen meiner Salomé. Und gewiss nicht nur in ihren Augen.
    Ich gebe ihr die Blumen.
    «Grabblumen», sagt sie.
    «Wir leben auf einem Friedhof», erwidere ich.
    «Schön sind sie. Komm, setz dich.»
    Ich trete ein. Die Blumen stellt sie in eine schwarze Vase, blickt auf die Uhr, versteht.
    «Du bleibst, du bleibst über Nacht!» Sie klatscht in die Hände.
    Ich setze mich. Zieh das Fläschchen heraus, lege es auf den Tisch. Für zwei etwas wenig, aber Sala wird nicht so viel nehmen, es wird schon reichen. Allein will ich nicht. Einsam ja, mit Morphin ist man immer einsam, aber nicht allein.
    Sie lächelt.
    «U menja jest butylka starogo burgunda. Aber zeichnest du mich erst?»
    Ich würde den Inhalt von Jaceks Fläschchen am liebsten sofort in meinen Venen aufgehen lassen, will aber nicht nein sagen, es steht ihr zu.
    «Woher hast du Burgunder, du Luder?», frage ich dann doch, plötzlich erbost, Burgunder kann ihr nur irgendein Verehrer gebracht haben.
    «Gute Menschen haben mir das aus den Schlosskellern gebracht. Präsidentenburgunder. Besser, wir trinken ihn, als die Germanzy, oder?»
    Es ist mir egal, als sie das erzählt in ihrem Alt, ist es mir sofort egal, wir hatten in den Chevaulegers-Kasernen auch schon Wein aus den Präsidentenkellern getrunken, und Madeira, so alt, dass man ihn mit dem Messer schneiden konnte. Dass ein Verehrer ihr ihn gebracht hat, was macht das schon? Der hat ihn gebracht, Kostek trinkt ihn aus.
    «Aber du zeichnest mich?» Ihr Tonfall, weich wie die Steppen vom Dnjestr bis zum Don. «Ja?» Sie zeigt auf die Skizze über der

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