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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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willst.
    Du liebtest Helena und hast gesehen, wie Jacek und Iga sich näherkamen, und alles war in bester Ordnung, bis du gesehen hast, wie sie sich küssen. Sie waren diskret, aber da begriffst du, dass Iga dir entgleitet.
    Du siehst das nicht, Kostek, aber ich sehe es. Aus den Leibern der Geliebten wachsen schwarze Säulen, aus dem gleichen Stoff wie die unter der Haut der Geschichte pulsierende dunkle Substanz, und treffen sich, sie treffen sich in gotischen Bögen, bleiben länger miteinander verbunden, als das Leben dieser Geliebten währt, ihre Leiber sterben, die Säulen stehen, und zwischen ihnen wandeln schwarze Götter auf und ab. Das alles ist nicht deine Sache. Aber ich sehe sie und sehe die Säule aus deinem Leib und die aus den Leibern all der Frauen, mit denen du warst, ich sehe, wie sie sich im Dachgewölbe treffen, und darauf sitzt ein schwarzer, böser kleiner Gott.
    Als du Jacek und Iga gesehen hast, hast du nichts gemacht, Kostek, weißt du noch?
    Warum wir uns damals duelliert haben, kann ich beim besten Willen nicht mehr sagen. Das heißt, ich weiß, dass es um Iga ging, aber nicht, wie genau, ich war damals doch schon mit Hela, was konnte ich von Iga wollen?
    Du erinnerst dich nicht, Dummerchen, weil du vergessen wolltest, hast es aus deinem Kopf geworfen.
    Das war so: Ihr saßt in der Ziemiańska, betrunken. Man hätte meinen können, Freundschaft und Eintracht blühten zwischen euch. Ihr habt euch umarmt, trankt noch ein Gläschen Cognac, runtergestürzt wie Wodka.
    Auch Iga und Hela waren da, schon miteinander befreundet, sie sahen von unten zu euch dort oben, vom Architektentisch, sie saßen mit Żorawski und den anderen, und du, Kostek, hast Jacek zugeflüstert: «Na, wie schmecken dir meine Fleischabfälle?»
    Was hast du dir dabei gedacht, das Jacek zu sagen, der in Iga verliebt war, der dein Freund war? Ich weiß nicht, ob du überhaupt etwas gedacht hast. Du gingst den Pfad des Tigers, du warst ein Drache, fandst die weichste Stelle. Danach ein kleiner Skandal, sogar im «Kurjer» stand was vom Duell, ohne Namen, in spöttischem Ton, es sei ein Duell gewesen wie so viele, mit dem Dach als größtem Leidtragenden, von den Duellanten durchlöchert, als hätte dieses Dach sie beleidigt und herausgefordert und seine Karte überreicht.
    Und danach habt ihr euch versöhnt, leicht habt ihr euch versöhnt.
    «Schlaf jetzt, Konstanty», sagt Hela.
    Also schlafe ich ein. Werde wach, am Abend. Hela hat Abendbrot gemacht, bescheiden, eine Suppe, Brot. Jureczek bekommt Fleisch, er isst und sieht seinen Papa an, den besiegten Soldaten, der im Krieg kein einziges Mal geschossen hat, er sieht ihn, den Morphinisten, sieht mein Leben, meine missglückten Zeichnungen, vertanen Chancen, mein ganzes Leben, meinen toten Vater, meine Mutter Weiße Adlerin, er sieht alles und sieht es doch nicht.
    Nach dem Abendessen legt Hela Jureczek schlafen, und ich entdecke in meinen Sachen die Schokolade, die ich vor Tagen in der Hala Mirowska gekauft habe. Ich will in Jureczeks Zimmer.
    «Er schläft schon.»
    «Ich leg’s ihm auf den Tisch, da wird er sich morgen freuen.»
    Hela sieht mich an, und Liebe ist in ihrem Blick. Wir gehen ins Bett. Ihre Hand auf meinem Körper, meine auf ihren Brüsten. Sie dreht den Kopf nicht weg.
    Danach drücke ich sie an mich und weine still, bis ich einschlafe.

Kapitel sechs
    I ch schaue ihn an, Konstanty Willemann, von oben, sehe, wie er bei seiner Frau schläft, im Schokoladenhaus, verbunden in der gerade geschehenen Liebe, einander nah, sie weiß alles und vergibt ihm alles, sie schlafen, ich schaue sie an und sehe, wie die dunkle Substanz, die unter der Haut der Welt pulsiert, ihre Fühler ausstreckt. Sie ringeln sich um das Fundament, auf dem das Schokoladenhaus steht, gleiten ins Treppenhaus, klettern, ranken sich höher, suchen ihn.
    Können sie ihn bezwingen?
    Ich bin die schwarze Göttin. Ich spreche in der Zunge der Menschen und der Engel.
    Ich lasse die Fühler steigen, lasse sie unter der Tür durchgleiten, lasse sie in Konstantys Schlafzimmer dringen, unter die Bettdecke.
    Lassen oder aufhalten?
    Ich lasse sie.
    Die dunkle Substanz berührt Konstantys Körper.
    Das Telefon klingelt.
    Die dunkle Substanz ergießt sich über Konstanty, öffnet seine Lippen, dringt zwischen die Zähne, fließt in die Speiseröhre und tiefer, füllt Lunge und Magen.
    «Konstanty, das Telefon», sagt seine Frau, noch nicht richtig wach.
    Steh auf, Konstanty, nimm ab. Der Ingenieur ruft an,

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