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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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vergöttert, das weißt du gut, wozu dieses Theater? Ich weiß sehr gut, wozu. Er war ein Dichter, und du warst einer mit monatlichem Einkommen, Stammbaum und Auto.
    Er war Dichter und wird es immer sein, du dagegen, Kostek – wo ist dein Haus, wo dein Auto?
    Sie verachteten mich, Jacek, unsere Frauen, Anzüge und Autos verachteten sie, Jarosław nahmen sie übel, dass er uns in den Kreis der Ziemiańska aufnahm, wir mussten uns ihre Gunst nicht einmal erkaufen, mussten keine Mahlzeiten ausgeben, sie forderten unser Geld ja nicht unverhohlen, wollten meine Schecks und Jaceks Renteneinkommen nicht. Jetzt komme ich hierher in die Ziemiańska und komme doch nicht in die Ziemiańska.
    Kein einziges bekanntes Gesicht. Am Tischchen auf der Empore sitzt ein abgerissener Typ und schlürft seine Suppe. Unvorstellbar nicht nur vor dem Krieg, sondern auch noch vor der Kapitulation: dass der Kellner einen zufälligen Gast nicht von dem Tisch unter der Wandmalerei vertrieben hätte. Der hier sieht noch nicht mal nach einem Warschauer aus, eher nach einem zugereisten Flüchtling. Empörte Blicke treffen ihn, doch das ist nichts im Vergleich dazu, wie noch vor zwei Wochen der kräftigste der Kellner den Eindringling die Treppe hinuntergestoßen und dann ganz aus dem Café geworfen hätte, mit einem ordentlichen Arschtritt.
    Ich setze mich an ein leeres Tischchen.
    «Meine Verehrung, werter Herr», sagt der Kellner und verbeugt sich hüfttief, als wäre ich mindestens ein Radziwiłł. «Endlich ein bekanntes und edles Gesicht, werter Herr.»
    Ich neige in respektvoller Dankbarkeit mein Haupt.
    «Gibt es Kaffee?»
    «Keinen guten, aber immerhin.»
    «Wodka?»
    Er nickt.
    «Dann einen halben Schwarzen und einen Schnellen.»
    «Wird gemacht.»
    Ich greife nach der Zeitung, die im Holzgriff an der Wand hängt. Der neue «Warschauer Kurier», fünfte Ausgabe. Schon die fünfte! Vier habe ich verpasst. Ich blättere die bescheidenen Seiten durch, ein paar Artikel, eine Karte, Dutzende Inserate, die Eltern des Fähnrichs Ignacy Kasperski bitten seine Kameraden um Hinweise auf dessen Schicksal, Adresse, Telefonnummer.
    Sonst nichts.
    Auf Seite zwei aber die Überschrift: Schrecklicher Mord in der Lesznostraße! Der Angreifer jüdischer Herkunft ermordet den Lemberger Tumanowicz, nachdem er ihn mit einem Messer geblendet hat, aller Vermutung nach, um herauszubekommen, wo der sein Geld versteckt hatte.
    Weshalb jüdisch?
    Sie konnten mich nicht für einen Polen halten, weil ich Deutsch gesprochen habe. Sie konnten nicht schreiben, ein Deutscher oder Deutschstämmiger. Wenn also kein Deutscher und kein Pole, aber Deutsch Sprechender, dann war es ein Jude. Ein Schweizer wohl kaum.
    Gut so. Schreiben tun die Deutschen sowieso das eine, suchen was anderes. Sicher. Aber wo wollen sie jetzt suchen, in diesem Chaos? Sie suchen nicht, keine Angst.
    Keine Angst. Nur habe ich aber so eine verdammte Angst, warum habe ich Angst, warum?
    So sitze ich ein bisschen in dem seltsamen Gefühl, nirgendwo zu sein, in einer nicht existierenden Welt, im großen Dazwischen.
    Ich trinke den Wodka, trinke den miesen Kaffee. Stehe auf, um die Zeitung wegzuhängen. Sehe mich erneut im Café um. Der Ignorant, der das Tischchen auf der Empore mit seinem Suppeschlürfen befleckt hat, ist verschwunden. Der Tisch, der sich an die Ellbogen von Wieniawa und Tuwim erinnert, steht leer, ich würde mich nicht daran setzen. Unten an den Tischen sitzen schon andere Gäste, die der Kellner etwas gnädiger behandelt. Sie sind seltsam gekleidet, eine Art touristische Mode war angebrochen, das habe ich schon auf der Straße gemerkt, aber darauf geschoben, dass jeder sich anzieht, wie er halt gerade kann, Hauptsache warm. Nun aber sehe ich, dass das alles ganz bewusst ist. Wanderstiefel mit Absatzeisen. Skimützen, Anoraks. Pumps und karierte Socken, sogar zwei Rucksäcke hängen an den Stühlen.
    Ich lehne mich an die Bar, bestelle einen weiteren Schnellen. Der Kellner gießt sofort ein und merkt auch gleich, dass ich noch etwas von ihm will.
    «Herr Ober», frage ich. «Wieso sind die hier alle angezogen wie zu einem Ausflug in die Tatra?»
    Er zuckt mit den Schultern.
    «Besatzungsmode. Scheinen alle schon auf dem Sprung nach Ungarn zu sein. Schauen Sie, der da nimmt nicht mal seinen Schal ab. Bald werden sie mir hier ihre Skier an die Wand stellen.»
    «Haben sie keine Angst vor Verhaftungen?»
    «Hier kommt doch kein Deutscher vorbei. Für die Deutschen soll angeblich das Adria

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