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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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keine schönen braunen und weißen Pferdchen der Chevaulegers im Orchester. Es tut mir nicht einmal leid, obwohl ich die grauen Fritzenuniformen und Motorräder doch hasse, dabei prägen sie heute diese Straße nicht mal.
    Auch an den Rest habe ich mich schon gewöhnt. An die zermahlene Stadt, die gemahlenen, ein wenig grau gewordenen Menschen, an die Zettel an Wänden und Zäunen, an die verblendeten Fenster und die Händler und an den Winter im Oktober, den nie enden wollenden Winter, und an die Bekanntmachungen an den Wänden.
    Die Menschen sind merkwürdig. Die Jungen, die Halbwüchsigen und Zwanzigjährigen niedergedrückt, für sie ist eine Welt zusammengebrochen. Die Übrigen – die Alten haben die Russen überlebt, die Deutschen, eine kleine Revolution, einen Krieg, die Nationaldemokraten und die Sozialisten, den Mai-Putsch und Piłsudski, die Krise und alles, was sollen ihn jetzt diese Deutschen können? Unter Beseler war es nicht schlecht, da konnte man leben. Es herrschte Ordnung. Das jetzt wird man auch überleben. Die Deutschen sind schließlich ein Kulturvolk, hat Konstanty sagen hören, auf Russisch sagte das jemand.
    Ich komme am Prudential vorbei, es wirkt absolut unpassend in seinem amerikanischen, phallischen Hochmut, jetzt, nach der Niederlage derer, die es erbaut haben.
    Du weißt nicht, Kostek, wie viele Niederlagen euch noch bevorstehen, euch, die ihr dieses Prudential erbaut habt, denn alle habt ihr es erbaut, die dünne Schale des zivilisierten Polentums auf dem fetten, tumben Rumpf des bäuerlichen Slawentums. Dieser Rumpf wusste, dass ihr ihn verachtet, und hasste euch für diese Verachtung umso mehr, als er wusste, dass er sie verdient hatte. Ihr seid es, die verloren haben, nicht dieser verhasste Rumpf, dem ist eure Niederlage nur lieb, euch Herren dagegen kam dieser kleine Krieg gar nicht recht. Und in der bizarrsten Lage sind jene Schichten des Gewebes dazwischen, schon an euch klebend, aber noch nicht ihr selbst, sie können nicht zum Rumpf zurück, und ihr verachtet sie, als würden sie sich sonntags Stroh in die hohen Stiefel stopfen, wohin sollen sie also, zu den Deutschen? Wenn nötig, werden sie zu den Deutschen gehen, sie würden auch zum Teufel gehen.
    Und in der Mazowiecka, auf der man sich in prominenter Gesellschaft zeigen musste, in der Mazowiecka, wo Konstanty Willemann ein Dandy war, der mit seinem Stock spielte, Satellit der Künstler, durch eine geheimnisvolle zwischenmenschliche Kraft von Jarosław zum Kontakt mit diesen zugelassen, zum Neid der immerhin echten Künstler und Schaffenden, im Gegensatz zu mir begabt mit einem mehr oder weniger großen Talent, die dennoch nicht auf die Empore eingeladen wurden, ich aber doch. Nicht immer und nicht jedes Mal, aber doch.
    Ja, ich hatte einen Opel mit Zeltstoffdach und war ein hübscher, vermögender Jugendlicher aus deutsch-schlesischem Grafengeschlecht, ich trug schöne Anzüge, tanzte wie der Teufel, war Ulanenleutnant der Reserve eines guten, wenn auch provinziellen Regiments, ich spielte Tennis, sprach mehrere Sprachen und passte einfach in die Welt, in der sie alle sich so gern sehen wollten.
    Also hassten sie mich alle aufrichtig, diese Poeten und Poetinnen und Maler und Künstler der zweiten Liga, der zweiten Klasse, die gar nicht mal zu den Inexistenten gehörten. Sie waren präsent, schrieben, publizierten hier und da, wurden gelobt oder verrissen, lebten, waren da.
    Aber wie sie lebten, armselig, mit einem einzigen Mantel, in verschlissenen, schiefsitzenden Jäckchen, durchgescheuert an Knien und Ellbogen, von einem Auto konnten sie nur träumen! Von Reisen nach Wien oder Mailand, wer von denen fuhr schon nach Paris, die hausten als Untermieter mit Arbeitergesocks aus Bulgarien und Rumänien zusammen, von solchen Hotels, in denen ich und meinesgleichen schlief und schlafe, kennen die nicht einmal das Foyer.
    Und die, die nicht ganz arm waren, wie dieser junge Wilnaer Freund von Iwaszkiewicz, der die Kommunisten mochte und dessen Namen ich vergessen habe, der mit dem quadratischen Unterkiefer, Poet im Anstellungsverhältnis, kaputt und gequält von der Arbeit, weil er spürt, wie das Talent ihm durch die Finger rinnt, geplagt von Monatsrapporten und Berichten, der mit dem guten Anzug (Auto hat er natürlich keins) – die sind noch ärmer dran als die anderen, denn er hat nicht einmal seine Würde und hasst solche wie mich noch mehr.
    Du erinnerst dich gut an seinen Namen, Kostek, sehr gut, Jarosław hat ihn

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