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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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reserviert sein, wenn es wieder aufmacht. Vielleicht hat es schon auf, ich weiß nicht.»
    «Was Sie nicht sagen.» Ich wundere mich höflich und stehe noch eine Weile an der Bar, um dann an mein Tischchen zurückzukehren. Im Moment, in dem ich mich setze, geht die Tür auf, und Witkowski tritt ein. Lederjacke, Breeches mit Offiziersstiefeln, englische Wollkrawatte, gepunktet, Radlermütze. Er fällt auf, sogar vor dem Hintergrund der Touristen an den Tischen.
    Schon an der Schwelle benimmt er sich höchst seltsam: Er bleibt an der Tür stehen und sieht sich im ganzen Saal um, mit einem durchdringenden, forschenden Blick, der alle Anwesenden abzutasten scheint. Er verharrt einen Augenblick in dieser taxierenden Pose, die Rechte sehr eindeutig in der Tasche der Lederjacken, nicht locker, sondern straff gespannt, der abgewinkelte Ellbogen signalisierte klar: Waffe in der Tasche! Vielleicht hat er wirklich eine, womöglich sogar meine Browning, aber ich glaube eher, er macht Theater.
    Und plötzlich lockert er sich. Das runde Gesicht zerfließt zu einem Lächeln, er nimmt die Mütze ab, ein vernehmliches «Guten Tag!», schallt in den Saal, die vermeintliche Waffe gleitet in die Tasche zurück, ungeboren, vielleicht auch nur eingebildet.
    Ich antworte nicht, immer noch erstaunt von seinem theatralischen Benehmen. Ich sehe die Gesichter der anderen Gäste des Cafés, das ja nur dem Namen nach noch die Ziemiańska war: Sie sind hingerissen! Denn tatsächlich, diese komödiantische Einlage, die Cowboy-Gesten, die Breeches und hohen Stiefel passen ausgezeichnet zu ihrem touristischen und dennoch, darum geht es ja, patriotischen Aufzug, zu der Vorführung, bei der sie hier alle mitspielen.
    Witkowski steht indes schon an meinem Tisch.
    «Guten Tag», sagt er noch einmal. «Gut, dass Sie hier sind.»
    Er nimmt Platz, der Kellner bringt ihm ungefragt Kaffee und – interessant! – Cognac.
    «Für meinen Kameraden das Gleiche», ordert er in einem Ton, als wäre ich ein hungriges Fräulein, das man mit in die Konditorei nimmt, mit Kuchen füttert und danach in einem abgeranzten Stundenzimmer vögelt, solange das Mädel sich noch an den süßen Geschmack der gefüllten Mandeltörtchen von Herbaczewski erinnert.
    «Ich habe Papiere für Sie.»
    Wie durch einem Zaubertrick liegt plötzlich ein Vorkriegs-Personalausweis auf dem Tisch.
    «Auf den Namen Machura. Jan Machura. Wohnhaft in Warschau, arbeitslos. Werfen Sie einen Blick drauf.»
    Das tue ich. Der Kellner bringt mir Cognac und den halben Schwarzen.
    «Woher haben Sie mein Foto?», wundere ich mich.
    Er winkt ab.
    «Geben Sie her», sagt er. Ich gebe ihm den Ausweis, und der Ingenieur steckt ihn zu meiner Verwundung in die Ledertasche zurück. Ich schnuppere am Cognac. Ein guter.
    «Martell?», interessiere ich mich höflich.
    Der Ingenieur sieht mich uninteressiert an. Ich beschließe schnell, auf die Papiere zurückzukommen.
    «Aber die Papiere brauche ich doch gleich, oder?», frage ich schüchtern.
    «Ja schon. Aber jetzt noch nicht. Ich habe eine bessere Lösung für Sie, eine viel bessere. Sie gehen in die Fredry  6 , Mietshaus Wawelberg. Wissen Sie, wo das ist?»
    Sie, nicht du. Er hat den Respekt nicht verloren. Er schätzt mich.
    «Weiß ich. Bank Zachodni.»
    «Genau. Sehr gut. Dort ist der Deutsche Klub, dort gehen Sie hin und erklären sich als Deutscher. Sie kehren zum Namen Ihres Vaters zurück, ganz naheliegend. Konstanty Strachwitz von Gross-Zauche und Camminetz.»
    Ich erstarre, das Gläschen auf halbem Wege vom Tisch an die Lippen. Das Cognacaroma kitzelt in der Nase, ich finde meine Stimme nicht wieder. Was der Ingenieur gesagt hat – und was war das eigentlich, eine Bitte, ein Ratschlag, ein Befehl? –, das hat sich noch gar nicht richtig in mein Bewusstsein ergießen können, aber es lähmt mich bereits.
    «Die zweite, gefälschte Identität wird Ihnen auch zur Verfügung stehen, falls Sie sie brauchen. Aber am nützlichsten sind Sie unserer Organisation als Deutscher. Und Sie werden den Eid ablegen müssen.»
    «Ingenieur, aber ich will kein Deutscher sein! Ich bin Pole!», jammere ich kläglich. «Das Polentum hat etwas gekostet, ich habe um das Polentum gekämpft, ich kann jetzt kein Deutscher werden, und dann noch unter diesem Namen!»
    Witkowski lächelt warmherzig.
    «Na, es muss schon der richtige Name sein. Sie werden unser Auge sein bei denen, aber auch unser Kontakt, Sie werden vielleicht das wichtigste Glied unserer Organisation, das

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