Morphin
schaffen», lächelt der Ingenieur. «Sagen wir, das ist ein Training, bevor wir dich nach Budapest schicken.»
«Wann?», frage ich.
Witkowski sieht auf die Uhr.
«In einer halben Stunde geht der Wehrmachtszug vom Hauptbahnhof. Passagierzüge fahren noch nicht, aber mit der Kennkarte kommst du vielleicht rein, Siebenundfünfzig.»
«Sechs», korrigiere ich ihn.
Er sieht mich wirr an und schüttelt die Schultern.
«Mit dem Geld meldest du dich in der Wohnung der Łubieńska, aber hinterlass es nicht, sondern warte damit auf mich.»
Darauf verschwinden sie.
Und du, Kostek, tust, was du zu tun hast, packst Unterwäsche in die Aktentasche und gehst zum Bahnhof, mit deinem Deutschtum in der Hand, und wartest, die Zeit läuft, in diesem halben Bahnhof, dieser halben Ruine; du wartest unter Horden von Deutschen und Halbdeutschen, graue Uniformen, dunkelgrüne Krägen mit weißen Balken zugeknöpft, Offiziersstiefel und Pionierstiefel, Patronengürtel, du wartest und fragst auf Wienerisch und lächelst wienerisch, wartest vierzehn Stunden, alles tut dir weh, Kostek, viel Erotisches geht dir durch den Kopf, Salomé, Hela, Iga, und du denkst viel daran, dass man Iga aus dem Gefängnis holen muss. Gut, dass du den Mantel mitgenommen hast, denn es wird kühl, immer kühler; dunkel und immer dunkler unter der Decke, Salomés warmer Körper, ihr leicht salziger Geschmack, ihre weiche Haut und das Fläschchen voller bunter Wärme, sie ergießt sich in deine Adern, sie wärmt dich – würde dich wärmen, Kostek, wenn du nur zu dieser kleinen, süßen Schlampe gehen würdest, die das Fläschchen für dich hat, aber du gehst nicht, o nein, das tust du nicht, denn du bist nicht mehr der Kostek, der zur schwarzen, bösen, falschen Hure Salomé geht, bist nicht der Kostek, in dessen Adern das Glück schwimmt, lösliche Ruhe, und du in ihrem Mund, Kostek, nicht wahr?
Später denkst du an die besseren, anderen Geliebten, an die, die du die Unverhoffte nanntest, weil sie so plötzlich in deinem Leben aufgetaucht ist, nur denk nicht zu viel an sie, Kostek, denn du hast sie ja getötet, hast sie aus deinem Leben getrieben, deshalb gibt es sie nicht mehr.
Du weißt nicht, dass sie ein Kind von dir trug, Kostek, du weißt nicht, dass du dieses Kind mit deinen Worten getötet hast, auch sie weiß das nicht, blutiger Lappen auf der Binde, eingewickelt in Papier und in den Mülleimer damit, das also war dein erster Sohn aus dem unbewussten Leib deines ersten Betruges. Wenn man überhaupt betrügen kann. Ich finde, man kann es nicht, denn um zu betrügen, muss man sich erst einmal begegnen, die Menschen aber begegnen sich gar nicht, du denkst anders, Kostek, weil du dumm bist und nicht weißt, dass jeder ganz für sich allein ist.
Dieses Mädchen wusste nichts und sah liebevoll zu, wie ihre kleinen Brüste wuchsen, sie dachte, das käme vom Mond, der über ihren Körper glitt in der Einzimmerwohnung, die du damals mit ein paar Jungs gemietet hattest, um solche Rendezvous zu ermöglichen. Sie wuchsen von diesem Hahnentritt, der sich in ihrem Körper einzunisten versuchte.
Und du denkst bald nicht mehr an sie, dein Zug wiegt dich und fährt dich nach Krakau, nach Süden, im Abteil sitzen Soldaten, gewöhnliche Schützen und Gefreite, ein polnischer Bahnarbeiter, du würdest ihm gern etwas sagen, etwas erklären, ihn auf den Austritt mitnehmen und offenbaren: Ich bin Pole, Offizier der geheimen Aufklärung, ich bin in einer Mission unterwegs. Doch du sagst nichts.
Dann steigst du aus nach einer ganzen Nacht mit Soldaten und Gewehren, steigst aus an dem von Bomben unversehrten Bahnhof in Kraków, Krakau, ein Bahner fischt deinen braunen Anzug aus dem Strom der grauen Uniformen, hält dich für einen Polen und spricht dich an: Wie sehen die Zerstörungen in Oberschlesien aus?, aber du fertigst ihn achselzuckend ab: Ich weiß nicht. Schließlich gibt es wichtigere Dinge, Mitgefühl ist jetzt unangebracht – das Vaterland die Narbe Unantastbarkeit der Grenzen und ostpolnischen Befestigungen Selbstgenügsamkeit Organisation Konspiration.
Da gehst du dann, kommst an der Basztowa vorbei, durchquerst die Planty, wie seltsam ist diese Stadt, die Krähen krächzen in Krakau, du gehst und weißt nicht, wozu, weißt nicht, wie ein Offizier der Aufklärung eine gewisse Dzidzia Rochacewicz ausfindig machen soll. Fragt sich, ob die Namensgleichheit mit den Gastgebern der Sommerfrische Zufall ist oder nicht, entweder ist alles Zufall oder nichts,
Weitere Kostenlose Bücher