Morphogenesis
streifte sich die Maske über das Kinn und präsentierte seine perlweißen Zähne.
»Mister Krispin?« Es war mehr Feststellung als Frage. »Ich bin Shabani Ildou Bouraleh I.« Er wies auf die restlichen Anwesenden. »Zu meiner Rechten Shabani Ildou Bouraleh II, und zu meiner Linken Shabani Ildou Bouraleh IV.« Seine maskierten Klone hoben zur Begrüßung jeder eine Hand.
Ich nickte erneut.
»Nicht sehr gesprächig heute, was?«, bemerkte das Original.
Ich tastete nach meinem Mund. Er war nicht vorhanden. Ob nicht mehr oder noch nicht würde sich zeigen …
Der Uniformierte zuckte die Achseln, als begegnete er diesem Phänomen häufiger. »Keine Sorge, Mister Krispin, das gibt sich mit der Zeit«, erklärte er. Ich überlegte, ob er dies auf meinen fehlenden Mund oder meine daraus resultierende Schweigsamkeit bezog. »Jeder, der zum ersten Mal bei uns ist, durchlebt eine – wie soll ich sagen – temporäre Depression …« Bouraleh I lächelte hintergründig und studierte mich von Kopf bis Fuß. Dann zog er süffisant eine Augenbraue in die Höhe. »Wissen Sie, dass Sie ein Glückspilz sind? Unser Geschäft ist nämlich nichts für die lebende Masse.« Er kicherte verhalten. »Ich hoffe, Sie wissen das zu schätzen.«
Er tauschte einen Blick mit seinen Klonen. Schließlich traten alle gemeinsam zur Seite und sahen kollektiv durch ein Fenster, hinter dem sich etwas Monströses, Furcht erregendes bewegte. Seine Gesamtheit blieb mir wegen des begrenzten Fensterausschnittes und des fast undurchdringlichen Brodems, der die Kreatur umgab, verborgen. Das Geschöpf war schwarz, aufgedunsen und vollkommen haarlos, und bei längerem Hinsehen bildete ich mir ein, kein Tier zu sehen, sondern ein riesiges Gesicht inmitten einer amorphen Masse. Hin und wieder tauchte ein fahles, faustgroßes Auge am Fenster auf und verharrte für einen Moment. Es starrte mich und die Uniformierten an, dann verschwand es wieder in dem ockerfarbenen Nebel.
Bouraleh IV zog sich ebenfalls seine Maske vom Kopf und nickte in eine bestimmte Richtung. »Dort steht Ihr Vergnügen, Mister Krispin.« Seine Stimme war von der seines Originals nicht zu unterscheiden. »Das Waschbecken ist im Nebenraum, falls Ihnen nach Erleichterung zumute wird …« Er grinste, mit einer Spur Boshaftigkeit in den Zügen.
Ich warf einen Blick in die Runde, dann konzentrierte ich mich auf den Bereich, den die Bouraleh-Gemeinschaft freigegeben hatte. Es war ein massiver, gekachelter Seziertisch, der an einen Opferaltar erinnerte. Die darauf liegende Person war von einer hauchdünnen Silberfolie bedeckt, die den gesamten Körper verbarg. Auf einem in Plastikfolie eingeschweißten Etikett, das am Fuß der Liege angebracht war, stand die Bezeichnung: S 4.2005/z.S.f. 21.3.
Kupferrot rann unter der Silberfolie hervor und kroch am Tisch herab, um auf den Fliesen eine schimmernde, rotschwarze Lache zu bilden. Wie gebannt hing mein Blick an Kupferrots zähflüssigem Körper. Er besaß bald so viel Volumen, dass er der sanften Neigung des Fußbodens zu folgen begann. Meterweit schlängelte er sich durch den Saal und strömte in ein kreisrundes Loch in der Raummitte. Ich verfolgte den Vorgang mit starrem Blick. Dann trat ich an den Tisch, vergrub meine Hand in der Silberfolie, zog sie behutsam fort und ließ sie zu Boden gleiten.
Es waren zwei Körper, die in trauter Eintracht auf dem Seziertisch ruhten. Der erste gehörte Sahia, ein schwarzes Haarband im rotverkrusteten Haar, das ihr in wirren Strähnen im Gesicht klebte. Der zweite Körper gehörte Kupferrot. Träge rann er aus ihren zahllosen Wunden, befreite sich aus ihrem aufgerissenen Fleisch und tränkte ihre Haare und das schwarze, goldbestickte Galabiya. Minutenlang blickte ich die junge Frau an, studierte ihre melancholisch wirkenden Gesichtszüge und die violetten Lippen. Es sah aus, als wäre ihr Fleisch im Schlaf zu Bronze erstarrt; als würde sie Kupferrot, das sich fast zärtlich um sie schmiegte und sie unter seinem schmierigen, halbgeronnenen Körper warm zu halten suchte, wie einen schleimigen Fetisch an sich pressen.
Ich wischte die Haarsträhnen aus ihrem Gesicht, ließ meine Finger über die klaffende Kopfwunde wandern, über den aufgeschlitzten Hals und die Brüste bis hinab zu den Wunden, die ihren Körper überzogen, als wäre sie von gewaltigen Klauen niedergestreckt worden. Erneut strebte mein Blick hinüber zu der Kreatur hinter dem Fenster.
Bouraleh IV räusperte sich: »Ist sie es?«
Ich nickte
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