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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Trance setzte ich mich wieder in Bewegung, erkletterte Stufe um Stufe und schaute dabei gelegentlich hinab auf den dampfenden Sumpf, der immer mehr im eigenen Dunst zurückblieb. Ein direkter Blick über die Brüstung blieb mir verwehrt. Unmerklich langsam kam ich dem nachtnebelverhangenen Pseudohimmel näher, und es wurde zusehends kühler. Schließlich drang ich in die Wolken ein, deren Feuchtigkeit sich unangenehm auf die Haut legte. Sie sogen das letzte Erg Wärme aus meinem Körper und begrenzten die Sicht auf nur noch wenige Meter, sodass sich die Winkel und Kurven des Artefaktes in unwirkliche Dimensionen verzerrten.
    Dann hörte ich die Musik.
    Es waren Melodien, wie sie nie zuvor an meine Ohren gedrungen waren, und sie spotteten jeden Versuchs, sie zu umschreiben oder in begreifliche Worte zu kleiden. Die Musik verschmolz mit den Wolken und der Nacht zu einer lebendigen Wesenheit, die durch die Sphären trieb und sich am Widerhall von der Oberfläche des Sumpfes sättigte. Ich verharrte, schloss gebannt die Augen und lauschte. Dann begann ich die Stufen in gieriger Hast zu erklimmen, wie ein gejagtes Tier – bis ich in meiner Unbesonnenheit auf dem feuchten Untergrund ausglitt. Rücklings stürzte ich, schlug mit dem Kopf gegen den massiven Fels und verlor für einen Augenblick die Besinnung. Benommen richtete ich mich wieder auf und torkelte gegen die Brüstung, die einen weiteren Sturz verhinderte. Lange saß ich zusammengekauert in einer Ecke, verfluchte meine Achtlosigkeit und bemühte mich, das Schwindelgefühl zu beherrschen, das mein Denken lähmte.
    Irgendetwas hatte sich verändert. Zuerst war ich nicht fähig, zu bestimmen, was es war, dann fiel mir die Stille auf. Kein einziger Ton jener verzückenden Musik war seit meiner kurzen Ohnmacht aus den Wolken herabgeklungen. Lautlosigkeit und Dunkelheit lasteten auf den Stufen. Es war, als hätte man der Treppe ihre Magie genommen. Die übernatürlich wirkende Kraft, die ihr entströmt war, war versiegt.
    Ein kolossaler Schatten schoss durch die Wolken herab, so nah, dass ich für einen Moment fledermausartige Schwingen und ein riesiges Auge erkannte, in dem eine sichelförmige Pupille schwamm. Ein herber Geruch wehte dem Schatten nach, der lautlos wieder im Brodem verschwand. Entsetzt starrte ich in die Wolken, dann zog ich mich bis an die Wand der Brüstung zurück. Wer wusste, ob dieses Ding wiederkam. Seine Kiefer hatten ausgesehen, als könnten sie mühelos einen Fernsehturm zerbeißen.
    Aus großer Höhe erschollen kreischende Laute. Sie erinnerten an Vogelschreie, nur waren sie lauter und differenzierter und gemahnten mehr an eine artikulierte Sprache als an die Rufe irgendeines Tiers. Nach wenigen Augenblicken verstummten sie, und die Stille begann wieder auf allem zu lasten. Allerdings nicht lange, denn nachdem ich fünf weitere Stufen erklettert hatte, durchschnitt ein langgezogener, schwerer Ton die Luft. Und bevor sich sein Nachhall in den Wolken verlor, fielen weitere wundervolle Klänge ein und begannen erneut dieses zarte Gespinst aus Melodien zu weben.
     
    Weit über mir nahm ich einen unruhigen Schimmer wahr, der flirrend umhersprang, als würde er zum Spiel der Musik tanzen. Tagelang glaubte ich durch die Wolken gestiegen zu sein, ehe die oberste Stufe der Treppe in einen sanft ansteigenden Weg mündete. Frierend und erschöpft wähnte ich mich endlich kurz vor dem Ziel meiner Odyssee. Vor mir erstreckte sich ein aus mächtigen Steinquadern gepflasterter Weg, der bald so breit wurde wie eine vierspurige Fernstraße. Es war, als würde ich eine Brücke beschreiten, deren Bogen das gesamte Inferno überspannte, unablässig auf das Licht zu, das am Ende der Straße tanzte wie ein riesiges Elmsfeuer.
    Obwohl ich der Musik entgegenstrebte, wurde sie leiser und leiser, je näher ich ihr kam, und war zuletzt für meine Ohren nicht mehr wahrnehmbar. Der unirdische Glanz hingegen schien nun den gesamten Himmel auszufüllen. Dann durchbrach ich die immer lichter werdenden Wolken und fand mich am Rande einer windgepeitschten Ebene wieder. Schneebedeckte Gipfel einer Bergkette umschlossen ein weites, kreisrundes Plateau, in dessen Zentrum ein monströses architektonisches Gebilde aufragte. Seine unzähligen Kuppeln und Türme verloren sich in den zeitrafferartig um sie kreisenden, schmutzig gelben Wolken. Die Schwärze darüber wurde von keinem einzigen Stern erhellt. Der Himmel war dunkel und leer. Die Düsternis einer längst entschwundenen

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