Morphogenesis
ich vernahm Stimmen.
Als ich die Augen öffnete, blickte ich in die Sonne, doch ihr Licht schmerzte seltsamerweise nicht. Im Gegenteil, es war ebenso angenehm wie der kühle Rasen unter mir. Der Himmel war blau und wolkenlos. Möwen ließen sich vom warmen Wind treiben, sanken blitzschnell herab zum Wasser und tauchten kurze Zeit später wieder auf. Ein Schatten trat über mich und sah schweigend auf mich herab. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, da es direkt vor der Sonne lag.
»Massa al ward, Mister Krispin«, begrüßte er mich. »Schön zu sehen, dass Sie sind wach!«
Ich blinzelte ihn an. Der Fremde sprach einen seltsam verdrehten Dialekt.
»Wollen Sie nicht aufstehen?«, fragte er, als ich mich nicht regte.
»Warum liege ich hier auf der Wiese?« Mein Blick wanderte nach rechts. »Vor dem Hotel?«
»Oh, Sie müssen getrunken haben ein bisschen zu viel gestern Abend.«
Verdammt, Krispin, so besoffen kannst du doch gar nicht gewesen sein, dass du dich auf dem Rasen schlafen gelegt hast. Oder etwa doch?
»Kommen Sie, Mister Krispin«, forderte der Fremde mich auf. »Sie müssen jetzt abreisen!«
Schlagartig war ich wach. Himmel, meine Maschine ging kurz nach elf, wie konnte ich das vergessen haben! »Wie viel Uhr ist es?«, erkundigte ich mich und setzte mich ruckartig auf. Mein Schädel schien im selben Augenblick auseinander zu springen. Dieser verdammte ägyptische Wein …
»Sie haben noch genug Zeit«, informierte mich mein Gegenüber.
Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. Er war rot. »Ich blute!«, rief ich erschrocken. »Wieso blute ich?«
»Vielleicht Sie sind gestürzt.« Der Fremde trat ein Stück aus der Sonne, und sein Schatten verwandelte sich in einen untersetzten Mann Mitte vierzig. »Womöglich Sie haben bekommen Nasenbluten.«
Ja, das mochte es wohl gewesen sein. Mein Weckdienst, so stellte ich nun fest, besaß einen Dreitagebart und eine Halbglatze. Er sah aus, als trage er einen Pyjama, und seine nackten Füße steckten in abgetretenen Sandalen. Unter dem Schlafanzug erkannte ich ein rotes Hemd, der Pyjama selbst war blau und weiß gestreift. Ein komischer Vogel. Aus Gewohnheit fasste ich an meine Brust, doch meine Hand griff ins Leere. Ich äußerte einen Fluch und tastete hektisch mein Hemd ab.
»Alles in Ordnung, Mister Krispin?«, fragte der Fremde, als ich begann, über den Rasen zu kriechen.
»Das fragt man mich ständig in dieser Stadt«, gab ich zurück und erhob mich. »Nein, nichts ist in Ordnung!«
»Haben Sie etwas verloren?«
»Ein Schmuckstück.« Ich machte eine hilflose Geste und lief suchend umher, stapfte durch Blumenbeete und durchstreifte niedrige Hecken. »Einen Anhänger – aus Gold.«
»Oh … dann sicher gestohlen, während Sie waren schachmatt.« Mein Gegenüber zeigte sich nicht besonders anteilnehmend. »Keine Chance, wiederzufinden«, prophezeite er. »Bestimmt längst verkauft auf Bazar.«
Ich hielt mit Suchen inne und funkelte ihn an. »Haben Sie es etwa eingesteckt?«
Der Fremde erwiderte meinen Blick ungerührt. »Das ist mir nicht erlaubt.« Er streckte seinen Arm aus und sah demonstrativ auf seine Armbanduhr. »Sie sollten jetzt gehen Ihr Gepäck holen«, wies er mich an. »Ich werde Sie fahren zu Flughafen.«
»Hat das Hotel Sie herbestellt?«
»Man hat mich beauftragt, Sie abzuholen, ja.«
»Wie heißen Sie?«
»Nennen Sie mich Archon.«
»Sind Sie Grieche?«
»Dort drüben stehen mein Taxi. Ich erwarte Sie in fünfzehn Minuten.« Mit diesen Worten ließ er mich stehen und watschelte zu einem Autowrack, das ganz in der Nähe parkte. Ich konnte unmöglich sagen, was es für ein Fabrikat war. Archon jedoch schien von seiner Fahrtüchtigkeit überzeugt zu sein, denn er setzte sich hinter das Steuer und wartete. Der Schrotthaufen besaß zwei verschiedene Lackierungen und überdimensionale Heckflossen. Auf seinem Kofferraumdeckel prangten die Buchstaben ›ET‹ für Egypt.
Ich sah resigniert an mir herab. Meine Kleidung war stellenweise zerrissen und von Blut getränkt, doch ich konnte mich nicht erinnern, wie es dahin gekommen war. Ich selbst, so stellte ich nach einer flüchtigen Untersuchung fest, hatte keinerlei äußere Verletzungen, die dieses Malheur rechtfertigten. Unglaublich, dass ich in diesem Aufzug den ganzen Morgen vor einer Luxusherberge wie dem Sheraton gelegen hatte. Peinlich, äußerst peinlich …
Das Hotelpersonal lächelte mich beängstigend freundlich an, als es mich sah, fast so, als ob mein
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