Morphogenesis
riesenhafte Objekt zu.
»Was für eine Stele?«
»Säule des Nordens.«
Je näher wir dem Komplex kamen, desto mehr ähnelte seine Oberfläche einem dunklen, matt glänzenden Metall. Obendrein wich die Kälte des Gebirges zunehmender Schwüle. Kein Zweifel, das riesenhafte Ding strahlte Wärme aus. Ich malte mir in den wildesten Farben aus, was sich innerhalb seiner Mauern befinden mochte – falls es überhaupt Mauern waren. Für ein paar Sekunden zog ich sogar die Möglichkeit in Betracht, dass es sich um ein Raumschiff handelte, bis zum Platzen gefüllt mit Außerirdischen, die ungeduldig darauf warteten, uns in ihre Pfannen zu hauen und zwischen die Zähne zu kriegen.
Was immer es auch sein mochte, es war außergewöhnlich.
Die ganze Situation war im Grunde außergewöhnlich. Ich ließ den Kopf sinken und starrte in den Dunst zu meinen Füßen. Falls ich den Behörden davon erzählte, würde dafür gesorgt werden, dass ein psychologisches Gutachten über mich erstellt wurde – mit dem Resultat, dass ein oder zwei Monate ›Urlaub‹ wahrscheinlich das Beste für mich wären.
Als ich wieder aufblickte, hatten wir uns dem Komplex bis auf etwa einhundert Meter genähert. Entgegen meinem ersten Eindruck erkannte ich nun ein gewaltiges, geschlossenes Portal, auf das Archon unermüdlich zuschritt. Es war relativ schmal, dafür jedoch mindestens sechs Meter hoch. Auf halber Höhe befand sich eine bizarre Ausbuchtung, von der ich nicht sagen konnte, um was es sich handelte – der Form nach offenbar um einen Türklopfer, denn unter dem Gebilde hing ein mächtiger Ring aus dem gleichen Material. Als wir näher kamen, entpuppte sich der Auswuchs als Nachbildung eines Schlangenschädels. Er war in der Mitte zweier Torflügel angebracht und betrachtete nahende Besucher mit einem nicht gerade freundlichen Lächeln. Aus vier Metern Höhe äugte der Zerberus auf uns herab. Sein Echsenmaul war aufgerissen, die Augen lagen boshaft und drohend in ihren Höhlen, überdeckt von einem dicken Wulst. Er sah mehr aus wie der Kopf eines Drachen als der einer Schlange. Dutzende spitzer Zähne flankierten eine hervorstoßende, gespaltene Zunge. Die Gussfigur war so groß wie ein Mensch, und der Ring, der an ihrer Metallkehle eingefasst war, noch einmal annähernd so breit. Wenn ich mich auf die Zehenspitzen stellte, würde ich eben noch den unteren Ringbogen berühren können.
Archon erreichte das Portal als Erster, stützte sich mit einer Hand daran ab und sah mir, der ich zögerlich näher kam, entgegen. Die Torflügel bestanden aus dem gleichen Material wie das übrige Bauwerk. Es war Gestein, das matt glänzte und sich angenehm warm anfühlte, dabei aber rau und sandig war wie feines Schleifpapier.
Ich tauschte einen Blick mit dem Piloten, wusste jedoch nichts zu sagen.
Archon schlug mir aufmunternd gegen die Schulter. »Wir da«, bestätigte er das Offensichtliche. »Rest nur noch Formsache.«
»Was haben Sie im Rucksack?«
»Ach, Stadtmensch … Bakschisch, mehr nicht. Wegezoll.«
»Wollen Sie eine Hand voll Dublonen abgeben, oder eine Schmuckschatulle?«
»Du Spottgeburt von Dreck und Feuer, was geht dichs an!« Archon grinste gaunerhaft, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Torflügel und bemühte sich, den gewaltigen Metallring anzuheben. »Hilf mir!«, verlangte er. Gemeinsam schafften wir es, den Ring zwei Handbreit vom Tor wegzudrücken, dann ließen wir ihn auf Archons Kommando los. Mit einem ohrenbetäubenden Krachen schlug er zurück gegen die Pforte. Das Portal vibrierte so stark, dass meine Rückenmuskeln davon schmerzten. Dennoch wiederholten wir die Aktion zwei weitere Male, ehe wir uns vom Tor entfernten und gebührenden Abstand zwischen die Flügel und uns brachten. Dann warteten wir, während die Schläge in einem unermesslichen Raum jenseits der Pforte verhallten.
»Egal was jetzt passieren«, raunte Archon, »tu, was Wächter verlangt und beantworte sofort alle Fragen.«
»Wieso?«
»Weil ich es dir sagen!«
»Und wenn er meinen Ausweis sehen will?« Der Pilot warf mir einen eindeutigen Blick zu. »Er steckt in der Reisetasche im Flugzeug«, erklärte ich.
»Hinter diese Mauern niemand interessiert sich für deine Ausweis, Stadtmensch.«
Lange Zeit blieb hinter der Pforte alles ruhig. In der Schwüle hatten sich Schweißperlen auf meiner Stirn gebildet, aber es waren auch wachsende Angst und Ungewissheit, die mir zusetzten. Schließlich begann sich einer der Torflügel unendlich langsam zu
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