Morphogenesis
auf einem Parcours aus Laufbändern stattgefunden haben …
Ich stellte mich an die Balkontür und sah trotzig lächelnd nach draußen. Eine Scheinwelt, resümierte ich. Alles nur Kulisse.
Warum ließ man dann zu, dass Ben Sira dir fast den Kehlkopf zerquetscht hat?, bohrte Gizas Stimme in meinem Kopf. Wieso wirken die Chroner ganz und gar nicht wie verkleidete Schauspieler? Wie passen Sahias Liebesspielchen in dein Terrorkonzept? Und wer, glaubst du, steckt in den Monsterkostümen? Liliputaner, Sumoringer und abgehalfterte Basketballspieler?
Ich wandte mich vom Fenster ab und lief zum Spiegel. Falls es also keine Kulisse war, was war es dann? Wann hatte ich Sahia ein Versprechen gegeben, und wo? In der Nacht vor meinem blutigen Erwachen in Kairo? Auf einem Sklavenmarkt?
Fanden gewissenlose Schiffsführer einst nicht genügend Seeleute, die freiwillig anheuerten, griffen sie gelegentlich auch heute noch auf das so genannte Schanghaien zurück. Im einfachsten Fall wurden dabei Männer niedergeschlagen und an Bord gebracht. Andere wurden betrunken gemacht und wachten erst nach dem Auslaufen unter Deck wieder auf. War das Schiff erst einmal auf hoher See, blieb den Opfern nichts anderes übrig, als sich den Befehlen des Kapitäns zu unterwerfen, bis sich eine Gelegenheit zur Desertion bot.
Gerissener war es einst jedoch gewesen, arglosen Männern im Wirtshaus heimlich ein Geldstück in den Krug zu werfen. Falls sie aus diesem tranken, wurde ihnen unterstellt, die Münze als Vorauszahlung auf ihre Heuer akzeptiert zu haben.
Irgendwie hatte ich das dumme Gefühl, als gehörte ich bei diesem Menschenraub zur letzten Kategorie ›Auserwählter‹.
Nachdenklich betrachtete ich mein Spiegelbild. Das feine Netz aus Adern in meinem Gesicht war noch immer deutlich zu erkennen. Vielleicht lag es an dem geisterhaften, unirdischen Licht, dass meine Haut so transparent wirkte.
Ein Schaben an der Zimmertür riss mich aus meinen Grübeleien. Die Pforte wurde leise entriegelt, dann geschah eine Weile lang nichts. Ich näherte mich der Tür, unschlüssig darüber, ob ich sie öffnen und es als verstohlene Aufforderung auffassen sollte, das Zimmer zu verlassen. Seit ich hier oben gefangen war, hatte Sahia es nie als nötig empfunden, vor ihrem Eintreten anzuklopfen. Im Gegenteil: Meist befand sie sich schon im Raum, ehe ich es überhaupt bemerkte. Gespannt stand ich vor der Tür und lauschte. Komischerweise hatte ich dabei das Gefühl, dass – wer auch immer auf der anderen Seite stand – diese Person ebenfalls ein Ohr ans Türblatt presste. Den Corrigan konnte ich mir bestens dabei vorstellen, erwartungsvoll in der Dunkelheit lauernd und boshaft grinsend, mit dem gezücktem Messer in seiner Pranke. Gerade als ich meine Hand ausstreckte, um die Tür mit einem entschlossenen Ruck aufzureißen, klopfte jemand zaghaft gegen das Holz.
Ich hielt verdutzt inne. Besannen sich die Bewohner dieser Festung plötzlich auf ihr gutes Benehmen? Es klopfte erneut, diesmal etwas lauter. »Oka?«, rief ich, in Erwartung, dass der Corrigan sich endlich zu erkennen geben würde. »Falls das ein Scherz ist, kann ich leider nicht darüber lachen.« Ich erhielt keine Antwort und musste unvermittelt an Ben Sira denken, der womöglich wieder aus dem Flammensee entkommen war. Ich stellte mir vor, wie er sich heimlich erst in den Turm, dann die Treppe hochgeschlichen hatte und nun nackt vor der Tür stand. »Ben?«, flüsterte ich und lehnte mich gegen das Holz. »Sind Sie das dort draußen?« Dann erinnerte ich mich, dass der Unglückliche von den Chronern in zwei Hälften gehackt worden war und eigentlich überhaupt nicht imstande sein durfte, durch den Turm zu geistern. Es sei denn, lediglich seine untere Körperhälfte hätte den Weg zu mir herauf gefunden. Das wäre immerhin ein Grund, weshalb er nicht antwortete …
Während ich lauschte, wurde die Tür einen Spalt weit aufgedrückt und ließ mich ein paar Schritte zurückweichen. Ins Zimmer schlüpfte zu meiner Überraschung weder der Corrigan, noch der zerteilte Büßer aus dem Branntweinsee, sondern Sahia.
Zumindest besaß das Geschöpf, das vor mir in der halb geöffneten Tür stand und schüchtern zu Boden blickte, das Aussehen des Mädchens. Ihr Gesicht hingegen wirkte, als wäre es soeben dem Hausgespenst dieser Festung begegnet.
Ich ging einen Schritt auf Sahia zu. »Ist alles in Ordnung?«, fragte ich.
»Nein!«, rief sie erschrocken und wich vor mir zurück, als hätten sich meine
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