Morphogenesis
Schreckenskabinett dorthin zurück, woher ihr gekommen seid. Kemahor, ägyptische Götter, Agarepth, was ihr auch sein mögt, verschwindet zurück in den Weltraum oder weiß der Teufel wohin, aber verschwindet – ehe man euch mit ein paar Raketen vom Himmel pustet. Ich gehe zurück in meine Welt, und für dich ist es das Beste, du bleibst in deiner.«
Meret spitzte die Lippen. »Willst du dir nicht vorher etwas anziehen?«
Ich sah an mir hinab.
Die Hybride schoss mit zum Greifen ausgestreckten Händen nach vorne, bekam das Schwert zu packen und wand es mir aus den Händen. Überrumpelt von ihrem Angriff, riss ich mich los, stürzte hinaus auf den Balkon und eilte auf die gegenüberliegende Seite des Turmes. Der Nebel raubte mir die Sicht, doch ich konnte weit genug sehen, um auf die gleiche Art und Weise die Mauer hinunterzuklettern, auf die ich es zuvor bereits in den Akazienhain geschafft hatte. Diesmal jedoch stieg ich auf der anderen Seite des Trutzwalls hinab, in die dicken, nach Teer stinkenden Schwaden hinein.
Meret erschien über der Balkonbrüstung, als ich bereits einige Meter in die Tiefe geklettert war. Sie sah zu mir herab, ungläubig, fast schon entsetzt darüber, dass ich mich an der Außenwand befand.
»Tu das nicht!«, rief sie. »Du bist Hunderte von Metern über dem Boden. Hinabzustürzen bedeutet dein Verderben. Du weißt nicht, was dich dort unten erwartet!«
»Dort unten ist die Straße, mehr nicht«, rief ich und kletterte weiter.
»Nein!« Das Zwitterwesen war im Dunst nicht mehr zu sehen. »Die Straße liegt auf der anderen Seite des Tempels. Unter dir klafft ein Abgrund! Du wirst nie zurückfinden!«
Ich hielt einen Augenblick inne. Als der Corrigan mich in den Turm geführt hatte, waren wir zuvor durch einen langen Korridor geschritten. Falls nun Meret die Wahrheit sprach? Kletterte ich womöglich wirklich ins Bodenlose?
Über mir schälte sich ein länglicher Schatten aus dem Dunst. Es sah aus, als werfe jemand ein baumdickes Seil über die Brüstung. Der Schatten war grasgrün und schoss mit weit aufgerissenem Maul auf mich zu, um mich zu schnappen. Für den Bruchteil einer Sekunde schien die Zeit stillzustehen, dann löste ich instinktiv meinen Griff und ließ mich fallen. Genauso schnell wie das Schlangenmaul auf mich zuraste, entfernte es sich plötzlich wieder und wurde vom Brodem verschluckt, während mir der Magen in den Hals zu rutschen schien und ich mich in freiem Fall zu überschlagen begann. Über mir erklang ein schmerzvoller, verwehender Schrei, ein langgezogener Ausruf von Enttäuschung und Bitterkeit, dann umgab mich nur noch pfeifender Wind.
Meret hatte nicht gelogen: Es existierte tatsächlich keine Straße!
Ich konnte nicht sagen, wie viele Meter ich bereits gestürzt war, bis aus der schreckbedingten Konfusion endlich Erkenntnis wurde und sich die Angst in einem übermächtigen, verzweifelten Schrei Bahn brach, der so lange aus meinem Mund wehte, bis meine Lungen sich ausgepumpt hatten. Dann sog ich den Sturm in sie hinein und formte einen weiteren Schrei daraus.
Stürzte tiefer.
Fiel und fiel …
Prallte irgendwann gegen Fels und wurde hinaus in die Leere katapultiert. Zuletzt erkannte ich unter mir schwarzen Boden, einen Herzschlag später schlug ich auf.
Durch mich geht man ein in die Stadt der Klage,
durch mich dahin, wo ewig Schmerz nur wohnt.
Durch mich zum Volk, das ich verloren sage!
Dante
Inferno
Ein entsetzlicher Schmerz durchfuhr Ka. Er begann in der Wirbelsäule und breitete sich explosionsartig bis in die kleinste Nervenfaser aus, fast so, als würde jeder seiner Knochen entzweigebrochen. Einen verzweifelten Moment lang klammerte Ka sich an den Infusionsständer, dann wurde ihm schwarz vor Augen. Auf halber Strecke zu dem fernen, gleichmäßig ruhig strahlenden Monitor sackte er zu Boden, ohne dass einer der übrigen Anwesenden Notiz davon nahm.
Als er wieder zu sich kam, lag er auf schlecht gepolstertem Untergrund und fror erbärmlich. Halogenlampen, die nicht wärmten, strahlten über Ka und blendeten seine Augen. Er versuchte eine Hand zu heben und sich aufzurichten, doch er konnte sich nicht bewegen. Sogar sein Kopf wurde von einer Metallmanschette festgehalten, die um seinen Hals lag. Womöglich sollten seine verletzten Halswirbel vor ruckartigen Bewegungen geschützt werden. Man hatte ihm den Stützkragen abgenommen und Elektroden auf seinem entblößten, schweißnassen Oberkörper befestigt.
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