Mortal Kiss Wem gehört dein Herz?
übrigen Männer. »Wir denken, wir sollten uns verwandeln. Wölfe können sich hier besser verstecken als Menschen. Wir bewegen uns rasch und leise. Ich will rausfinden, wo diese Geschöpfe leben, womöglich in der Wüste. Wenn wir ihren Wohnort finden, können wir diese Plage vielleicht endgültig aus der Welt schaffen.«
»Gute Idee«, gab Finn zurück.
Der Biker nickte, und ein Mann nach dem anderen glitt ins Dunkel, wo seine Umrisse sich verflüssigten und tierische Form annahmen. Als Wölfe verschwanden sie in die Nacht, nicht als Menschen. Finn nahm Fayes Hand.
»Du verwandelst dich nicht in einen Wolf?«, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Ich bleibe möglichst lange bei dir. Komm, schauen wir uns um. Halt dich nah bei mir.« Sie verließen das Lagerhaus und betraten Hand in Hand die schmale Straße.
Faye sah hoch. Der Mond war aufgegangen und von Sternen umgeben. In Silver Cross gab es kein Streulicht, das dem Nachthimmel Konkurrenz machte. Finns Hand fühlte sich in ihrer warm und lebendig an.
Sie empfand eine Woge der Dankbarkeit dafür, dass er Mensch geblieben war und sich nicht in einen Wolf verwandelt hatte. Es wäre sicherer für ihn gewesen, die Gestalt zu wechseln, und er hätte sich leichter in den schmalen, kurvigen Straßen von Silver Cross verbergen können, doch er hatte beschlossen, an ihrer Seite zu bleiben. Irgendwie wusste sie, dass er dort immer bleiben würde. Das war einer der Gründe, warum sie ihn so sehr liebte.
Sie waren in die breitere Hauptstraße gebogen, als sie spürte, wie Finn sich anspannte. Er blieb unvermittelt und mit gebeugten Schultern stehen und sah geradeaus.
»Was ist?«, flüsterte sie und suchte das Dunkel vor ihr nach einem Hinweis auf das ab, was er gehört hatte.
»Da kommt jemand«, gab er kaum vernehmbar zurück, führte sie zum Holzhaus hinter ihnen, schirmte sie dabei ab und starrte weiter die Straße hinauf.
Im nächsten Moment hörte auch Faye ein Schlurfen. Alle paar Schritte gab es eine Pause, als wäre der Ankömmling unsicher auf den Beinen. Dann hörte Faye Murmeln und kehliges Husten, dem erneut das ruckartige Schlurfen folgte.
Finn drückte sich an sie, angespannter als eine Feder. Den Mund hatte er zu einer starren Grimasse verzogen. Ihr Herz hämmerte in der Brust, während sie zu erkennen versuchte, was sich ihnen näherte.
Der Moment schien kein Ende zu nehmen. Dann schwankte jemand ins schwache Silberlicht des Mondes.
Es war ein Mann.
Erst dachte Faye, er sei alt, doch dann erkannte sie, dass er nicht viel älter sein konnte als ihr Vater. Einst musste er groß gewachsen gewesen sein, doch nun war er vorgebeugt, ja, gekrümmt. Sein graues Haar war lang und strähnig und passte zum struppigen Bart, der sein Faltengesicht halb verbarg. Er trug eine alte, braune Lederjacke, die schon bessere Tage gesehen hatte, und eine verwaschene Jeans, beides ganz staubig, humpelte noch einige Schritte, blieb leise schwankend stehen und blinzelte in ihre Richtung.
»Hallo?«, murmelte er undeutlich. »Jemand … jemand da? Ihr solltet im Bergwerk sein, ja. Ihr solltet alle im Bergwerk sein … « Er vergrub eine Hand in der Tasche, als suchte er etwas.
Faye spürte, dass Finn sich erneut anspannte, drückte seine Hand und trat ins Licht. »Hallo?«, sagte sie. »Sir?«
Der Kopf des Fremden fuhr überrascht hoch. Sein Mund öffnete sich zittrig. Dann machte er einen Schritt auf Faye zu und musterte sie von oben bis unten.
»Ah«, sagte er, während Faye spürte, wie Finn neben sie trat. »Was macht ihr denn hier? Ich schätze, ihr habt mit Mr Koskay zu tun. Zwar hat er nichts davon erzählt, aber das ist ja nichts Neues.« Wieder stöberte er in seinen Taschen.
»Äh, nein … «, erwiderte Faye zögernd. »Wir kennen niemanden namens Koskay . «
Stirnrunzelnd betrachtete der Mann sie erneut, diesmal mit schärferem Blick. »Nach Silver Cross kommen nur Leute für Mr Koskay. Warum solltet ihr sonst hier sein? Was wollt ihr?«
»Nur etwas Hilfe. Ich bin Faye«, entgegnete sie. »Faye McCarron. Wie heißen Sie?«
»Ich bin Jeff, junge Dame, bloß der alte Jeff, das bin ich.« Er konzentrierte sich wieder auf das Wühlen in seinen Taschen. Etwas fiel heraus, ein zerknittertes Stück Papier. Faye bückte sich, um es aufzuheben, doch Jeff fuhr fort: »Ich bin hier der Steiger. Das ist eine Bergbaustadt, eine Stadt für Bergleute. Hier gibt es nichts für junge Dinger wie dich.« Er trat näher und blinzelte sie an. Sein Atem roch nach Whisky.
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