Mortal Kiss
ist viel passiert. Ich schätze, der Schnee hat den Leuten ganz schön zugesetzt. Vor allem, weil der arme Kerl im Wald in der Kälte gestorben ist. Schnee gilt ja eigentlich als nicht so gefährlich, aber wir sind seit Wochen davon umgeben. Deinen Vater hat das alles in den letzten Tagen wahrscheinlich ziemlich belastet, oder ?«
»Du hast sicher recht « , erklärte Liz. »Und wie du schon sagst: Wenn es bedeutet, dass ich nicht bestraft werde, worüber beklage ich mich dann ?«
»Er wird schon früh genug aus seiner Geistesabwesenheit aufwachen … bestimmt .«
Liz nickte. »Bestimmt. Und ich sollte jetzt über die Stränge schlagen, so viel es geht !«
Faye schüttelte lächelnd den Kopf. »Hör mal, ich muss diese Artikel noch abgeben. In dem einen steht alles, was wir im Wald herausgefunden haben. Vielleicht bekomme ich Ärger deswegen, aber ich finde, das ist die Sache wert. Und ich hab gestern Abend auch endlich den Text über Mercy Morrow zu Ende geschrieben. Ich bin so spät dran damit, Ms Finch wird mich umbringen !«
»Unsinn « , sagte Liz mit wegwerfender Handbewegung. »Die regt sich nicht auf. Das ist die weichherzigste Lehrerin an unserer Schule. Aber ich muss jetzt zum Unterricht. Ich sage Mr Petrus, wo du bist. Oder soll ich dir mit den ganzen Büchern helfen ?« , fragte Liz und wies mit dem Kopf auf Fayes Stapel.
»Nein, alles bestens. Ich komm gleich nach .«
Faye begab sich zur Redaktion der Schulzeitung, die sich eine Etage höher neben den Chemie- und Physiklaboren befand. Es war ungewöhnlich, dass sie einen Artikel zu spät lieferte, aber schließlich war es auch ungewöhnlich, dass sie hinsichtlich dessen, was sie abgab, nervös war. Faye hatte sich an den Vorschlag von Ms Finch gehalten und einen Beitrag über das Leben von Mercy Morrow verfasst. Obwohl sie ihn eigentlich nicht hatte schreiben wollen, war sie zu dem Schluss gekommen, dass es sich dabei doch um eine gute journalistische Übung handelte. Immerhin würde sie sich ihre Aufgaben nicht immer aussuchen können. Aber sie hatte auch einen längeren, eingehenden Artikel über die Geschehnisse im Wald geschrieben – von der Ankunft der Biker, bis zum neulich entdeckten Tierkadaver. Dass sie gejagt worden war, hatte sie verschwiegen. Zum einen, weil es zu persönlich für einen objektiven Zeitungsartikel war, zum anderen, damit niemand erfuhr, dass sie abends dort oben unterwegs gewesen war, obwohl sie diese Gegend unbedingt hatte meiden sollen. Außerdem wollte sie Finn keine Schwierigkeiten machen. Faye wusste noch immer nicht, wie die übrigen Black Dogs in die Sache verwickelt waren, doch sie war überzeugt davon, dass Finn mit alldem nichts zu tun hatte.
Sie wollte gerade die Redaktionstür mit der Schulter aufstoßen, als ihr jemand von drinnen zuvorkam. Jimmy trat mit ratloser Miene heraus.
»Morgen « , grüßte ihn Faye. »Wie geht’s ?«
Er runzelte die Stirn, schloss sorgfältig die Tür und zog Faye auf die Seite. »Ms Finch ist heute e-echt seltsam g-gelaunt « , flüsterte er.
»Wie meinst du das ?«
Jimmy schüttelte den Kopf. »Ich meine s-seltsam , Faye. Sonst ist sie immer so … q-q-quirlig, auch ganz früh am Morgen, aber heute ist sie wie eine Z-Ziegelmauer. Ich w-wollte mit ihr über die neue Ausgabe sprechen. Ich finde, wir müssen einen großen Artikel über den B-Bandwettbewerb b-bringen: kurze B-Biografien der Teilnehmer und der J-Juroren und so … Aber ich hab k-kein W-Wort aus ihr rausgekriegt. Weißt du, ob was p-passiert ist ?«
»Nicht, dass ich wüsste « , sagte Faye leise. »Vielleicht hat sie bloß Kopfweh. Oder schlechte Laune .«
Jimmy hob die Brauen. »Hast du Ms Finch jemals schlecht gelaunt erlebt?
»Nie « , gab Faye zu. »Na, ich versuch mal, etwas drüber rauszufinden. Ich muss diese Artikel sowieso abgeben .«
»Viel G-Glück « , flüsterte Jimmy, öffnete ihr die Tür und ging zum Unterricht.
Im Büro war es dunkel. Die Jalousien waren noch unten, und kein Licht brannte. Faye sah ihre Lehrerin am Schreibtisch vor dem Computer sitzen.
»Äh, Morgen, Ms Finch « , begann sie und näherte sich dem Tisch. »Ich hab zwei Artikel für die neue Ausgabe dabei. Tut mir leid, dass ich so spät dran bin, aber ich hoffe, sie gefallen Ihnen .«
Die Lehrerin reagierte nicht. Sie schien ganz vertieft in das, was es auf dem Monitor zu sehen gab. Faye dachte, sie würde irgendwas lesen. Als Zeitungsredakteurin musste sie sich schließlich jede Woche um vieles kümmern, das über ihre
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