Mortal Kiss
wartete, dass Ballard ihn abholte. Er hatte fast den ganzen Tag über an seine morgendliche Begegnung mit Faye gedacht. Sie war so süß, wenn sie sich ärgerte, und es hatte ihn überrascht – und erfreut – , dass sie errötet war, als ihre Hände sich berührt hatten. Da musste doch etwas zwischen ihnen sein, oder? Er seufzte. Mädchen waren so schwer zu durchschauen!
Ballards schwarzer Wagen hielt vor ihm, doch Lucas hatte es mit dem Einsteigen nicht eilig. Ballard hasste es, wenn man ihn warten ließ, und im Moment ließ Lucas keine Gelegenheit aus, ihn auf die Palme zu bringen. Er ärgerte sich noch immer wegen ihrer Auseinandersetzung über die alte Bikerjacke und hatte erwogen, seiner Mutter tatsächlich davon zu erzählen, sich aber dagegen entschieden. Warum auch immer, Ballard war vorläufig der Lakai, dem sie am meisten traute, und Lucas war klar, dass sie bei einer so unbedeutenden Sache nicht die Partei ihres Sohnes ergreifen würde.
Er öffnete die Beifahrertür und glitt in den Wagen. Noch etwas, das Ballard ärgerte, denn er hatte es lieber, wenn Lucas auf der Rückbank saß, doch dem Jungen stand der Sinn nach Streit. Ballard sagte nichts und schaute ihn nicht mal an. Er fuhr einfach los.
»Ich glaube, Sie fahren falsch « , sagte Lucas, als er Richtung Stadt abbog. »Verlieren Sie jetzt endgültig den Verstand ?«
Ballard schwieg, doch Lucas blieb hartnäckig. »Wohin fahren wir? Ich muss Hausaufgaben erledigen. Ich brauche keine Fahrt ins Blaue .«
Der stämmige Mann verzog in lautlosem Knurren den Mund. »Wir holen deine Mutter ab« , sagte er knapp und blieb fortan still.
Seufzend fläzte Lucas sich in den Ledersitz. Der Wagen war makellos, wie unbenutzt. Er fragte sich, was sein Fahrer im Handschuhfach aufbewahrte, öffnete es und reagierte nicht auf Ballards Seitenblick. Nur eine Bedienungsanleitung für das Auto. Er schloss das Fach wieder und trommelte mit den Händen aufs Armaturenbrett. Schon wieder etwas, worüber Ballard sich garantiert ärgerte.
Lucas betrachtete nachdenklich die Geschäfte am Weg. Sie waren alle klein und verkauften Geschenkartikel für Touristen, aber nichts Nützliches.
Dass sie vor McCarrons Buchhandlung hielten, ließ Lucas interessiert hochfahren. McCarron? Das kann kein Zufall sein. Dieses Geschäft gehört sicher Fayes Familie .
Der Laden hatte zwei große Schaufenster und dazwischen eine altertümliche Holztür, deren Scheibe ein Rautenmuster zierte. Über der Tür hing so etwas wie ein kleiner Stoffhund an einer Schnur. Lucas erkannte, dass es sich um einen Wolf handelte, und fragte sich, warum er dort hing. Er wirkte deplatziert zwischen all den Körben immergrüner Pflanzen und blühender Weihnachtssterne.
Dann fiel ihm drinnen eine Bewegung auf. Eine Person im Laden war seine Mutter, und da er nur eine weitere Gestalt sah, handelte es sich dabei wohl um die Ladenbesitzerin. War das Fayes Mom?
Irgendwo bellte ein Hund wie wild. Das Geräusch schien aus dem Geschäft zu kommen, und er sah, wie seine Mutter sich bückte und etwas wegstieß. Dann drehte sie sich um und ging zur Tür, die andere Frau folgte ihr den ganzen Weg, war aber immer wieder kurz außer Sicht, weil sie etwas vom Boden aufheben wollte. Die Tür ging auf, und seine Mutter kam heraus … dicht gefolgt von einem kleinen, sehr wütenden, weiß-roten Hund. Er bellte, bleckte die Zähne und schnappte nach Mercys Fersen, während die versuchte, von ihm loszukommen.
Lucas ließ sein Fenster runter. »Tut mir leid « , sagte die Ladenbesitzerin gerade, während das wütende Tier weiter bellte. »Jerry ist normalerweise sehr freundlich. Ich weiß wirklich nicht, was in ihn gefahren ist .«
»Wenn Sie so eine Kreatur frei im Laden laufen lassen « , hörte er seine Mutter mit eisiger Stimme sagen, »sollten Sie sie unter Kontrolle halten. Das Tier ist ja praktisch wild .«
»Tut mir leid « , wiederholte die Frau, »wie gesagt … «
Der Hund attackierte Mercy erneut, und sie trat auf die kleine Stufe unter den Wolf und streifte die Figur mit den Haaren. Als Lucas das Schnitzwerk ansah, schien es kurz zu erstarren, bewegte sich aber gleich wieder, jetzt allerdings in Gegenrichtung. Er blinzelte, als wüsste er nicht recht, was er da gesehen hatte. Dann fuhr eine Windböe durch die Straße, brachte die Blumenampeln zum Schaukeln und ließ die kleine Figur kreisen.
Mercy trat nach dem Hund, machte auf dem Absatz kehrt, eilte zum Auto und öffnete die hintere Tür, während das kleine
Weitere Kostenlose Bücher