Mortal Kiss
regulären Pflichten hinausging. Faye setzte ihre Bücher ab und zog die Artikel aus der Tasche.
»Am zweiten Text hab ich wirklich hart gearbeitet « , fügte sie hinzu und kam näher. »Ich weiß, Sie haben gesagt, ich soll ihn nicht schreiben, aber ich glaube, das ist eine wichtige Geschichte, und ich hoffe, dass Sie wenigstens … «
Sie hielt inne. Ms Finchs Computer war gar nicht eingeschaltet. Der Monitor war dunkel und spiegelte nur die Fensterränder hinter ihr wider, die Stellen also, an denen die Jalousien nicht das gesamte Morgenlicht abschirmten.
»Ms Finch ?« , flüsterte Faye. »Alles in Ordnung ?«
Die Lehrerin antwortete nicht. Ihre glasigen Augen waren auf einen Punkt fixiert, und vielleicht lag es an dem wenigen Licht im Zimmer, doch Faye erschienen sie dunkler als sonst. Als hätte sich das Licht in ihnen in etwas Hartes und Schwarzes verwandelt.
Sie war plötzlich verängstigt, legte die Texte eilig auf den Tisch und zog sich zurück. »Ich … ich komme in der Pause wieder, Ms Finch « , sagte sie. »Ich sehe ja, dass Sie beschäftigt sind .«
Faye raffte ihre Bücher zusammen und schaffte es bis zur Tür, ehe Ms Finchs Stimme hinter ihr erklang. Doch es war nicht ihre Stimme, jedenfalls nicht so richtig. Sie war irgendwie hart und abwesend … genau wie ihr Blick.
»Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst nicht in den Wald gehen, Faye ?« , fragte die Stimme.
Fayes Nacken kribbelte vor Angst. Statt zu antworten, drückte sie die Klinke herunter, eilte hinaus und schloss die Tür hinter sich. Im hellen Flur wartete sie, dass ihr Herz sich beruhigte, und sah dabei aus dem Fenster.
Die Sonne war wieder hinter den Wolken verschwunden, und es schneite.
KAPITEL 23
Chemische Reaktion
F aye atmete tief durch, schob die Angst beiseite und ging den Flur entlang. Ihr Kopf war voller Fragen, auf die – wie sie wusste – niemand eine Antwort hatte. Sie war so beschäftigt mit dem, was bei Ms Finch passiert war, dass sie nicht achtgab, als sie um die Ecke bog. Jemand lief in sie hinein, stieß ihr den Bücherstapel aus den Händen und hätte sie beinahe über den Haufen gerannt.
»Boah !« Lucas Morrow erwischte gerade noch Fayes Arm, sodass sie nicht zu Boden ging.
»He, pass auf !« , rief sie und befreite sich aus seinem Griff.
Lucas hob die Hände. »Tut mir leid, aber du hast nicht aufgepasst, Flash .« Er bückte sich, um ihr beim Aufsammeln der Bücher zu helfen. »Wohin bist du so eilig unterwegs ?«
»Zum Unterricht. Müsstest du da nicht eigentlich auch sein ?«
Lucas grinste, gab ihr ein Buch und griff nach dem nächsten. »Bin dahin unterwegs. Aber jetzt komm ich zu spät. Du bist mir also was schuldig .«
» Dir was schuldig ?« , fragte Faye und hob eine Braue. »Das ist ja ein starkes Stück .«
Lucas richtete sich auf und lächelte dreist. »Du hasst mich, oder? Weil ich so reich bin ?«
Sie schüttelte erstaunt den Kopf. » Du bist nicht reich .« Sie versuchte, keine Miene zu verziehen. »Deine Mutter ist reich. Und ich hasse niemanden. Aber ich denke, du hast Liz’ Gefühle verletzt .«
Lucas besah sich ein Flugblatt, das er aufgehoben hatte. Es war aus Fayes Büchern gefallen. Verblüfft sah er sie an. »Wirklich? Was hat sie gesagt ?«
Faye seufzte und begriff, dass sie Lucas vermutlich erzählen konnte, was sie wollte. Es würde Liz so oder so in Verlegenheit bringen. Und nach ihrem letzten dummen Streit seinetwegen wollte sie ihre beste Freundin nicht erneut verärgern. »Nichts, das spielt keine Rolle. Ihr geht es bestens .«
Lucas hielt das Flugblatt hoch. Es war Werbung für den Bandwettbewerb. »Gehst du hin, Flash? Könnte spaßig werden .«
Faye riss ihm ein wenig verärgert den Zettel aus der Hand. »Weißt du, Lucas, bis jetzt hab ich dich noch nie eine Klasse besuchen sehen. Und nun seh ich dich zum ersten Mal ein Buch in die Hand nehmen. Bist du eigentlich nur an Spaß interessiert ?«
»Nein « , sagte er ernst, war jedoch sichtlich amüsiert darüber, wie aufgebracht sie war. »Aber welchen Sinn hat es, sich immer hinter Büchern zu verschanzen? Entspann dich. Tut dir gut .«
»Ich hab jede Menge Spaß !« , sagte Faye. »Und ich verschanze mich nicht hinter Büchern .«
Lucas hob die Brauen und wies auf die Bände, die noch am Boden lagen. »Wie viele hattest du eigentlich dabei ?«
»Ich … ich muss mittags in die Bibliothek. «
Der Junge verschränkte mit provozierend belustigtem Lächeln die Arme. »Ich glaube, du hast gerade ein Eigentor
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